Vom Pulsfühlen und Rückwärtsgehen

■ Tanztheater Rubato mit „Bewegung für Bewegung“ im Hebbel Theater

„Bewegung für Bewegung“: Das ist für das Tanztheater Rubato (Jutta Hell und Dieter Baumann) Bewegung um der Bewegung willen. In ihrer letzten Produktion, „Stopping Mind“, unterwarfen sie sich in einem wochenlangen Probenprozeß dem Diktat eines Metronoms, um die Reaktionen des Körpers auf die Konfrontation mit der Zeit, dem unaufhörlichen – schnelleren oder langsameren Ticken – zu ergründen. Die Unerbittlichkeit und Präzision des Zeittakts führte zu extrem reduktionistischen Ergebnissen – beklemmend, aber in seiner Intensität auch beeindruckend. Als Spurensuche im eigenen Körper, als Versuch einer Bewegungsaneignung jenseits herkömmlicher Tanzsprachen, verstehen die beiden Tänzer/Choreographen ihre Arbeit.

In dem Tanzstück „Bewegung für Bewegung“, das am vergangenen Donnerstag im Hebbel Theater Premiere hatte, sind sie diesen Weg konsequent weitergegangen. Nahezu jeder Geschichte und jeder Emotion entkleidet, werden die Körper in ihrer Eigengesetzlichkeit, in ihrer Beziehung zu Raum und Zeit erforscht: Auf einen zu weit nach hinten gebeugten Körper folgt irgendwann ein automatischer Schritt, eine seitliche Beugung des Rumpfes endet in einem Sturz auf den Boden, ein Bein, dessen Bewegung durch Blicke und Hände gesteuert werden soll, findet seinen Weg nicht.

Nach körperlichen Anstrengungen fühlen sich die beiden Tänzer den Puls, stumm, lange und hingebungsvoll. Der Körper als Diagnoseobjekt: Die behauptete körperliche Absolutheit wird ad absurdum geführt. Wie Sisyphos, dessen berühmte Bestrafung das ewig vergebliche Bemühen zeigt, das Los aller Sterblichen von sich abzuwälzen, bemüht sich Dieter Baumann ohne Erfolg darum, eine Wegstrecke zurückzulegen. So, wie der Stein immer wieder den Hügel herabrollt, ist jedes Vorwärtskommen Illusion.Drei leichte Rückwärtsschritte machen alle angestrengten, in gebückter Läuferstellung zuvor unternommenen Bemühungen zunichte.

Trotz solcher Verspieltheiten ist die konzentrierte Gehaltenheit, die „Stopping Mind“ auszeichnete, auch die Grundenergie dieses Abends. Doch was dort zu einer enormen Verdichtung führte, gelingt hier nur begrenzt. Entweder sind die beiden Tänzer nicht rigide genug mit sich umgegangen, oder sie sind es eben zu sehr. Die strenge Symmetrie, mit der der Abend begann, die zunächst zeitgleichen Bewegungen, hätten einer gewagteren Auflösung bedurft. Was fehlt, ist der Sturz ins Chaos, die Anarchie von sich verselbständigenden Bewegungsabläufen. Was bleibt, ist der Eindruck einer Gefangenschaft, einer Unterwerfung an die selbst aufgestellten Gesetzmäßigkeiten von Abstraktion.

Mochten die einzelnen Bewegungsversatzstücke auch am Ende dichter ineinander gefügt und variiert sein: Die Ordnung blieb jeden Moment erhalten. Eine geometrische Ordnung, die Jennifer Tipton in ihrer Lichtregie gesetzt hat mit vom Schnürboden und von den Seiten strahlenden Lichtkegeln, und die dringend eines Widerspruchs bedurft hätte. Die Rubatos, deren Weg stark von der Zusammenarbeit mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Choreographen Gerhard Bohner beeinflußt ist, bräuchten vielleicht mal einen Kick von ganz anderer Seite: Loslassen erlaubt! Michaela Schlagenwerth

Noch heute und morgen um 20 Uhr im Hebbel Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg