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Wand und BodenIn der Pink-Schräge

■ Kunst in Berlin jetzt: Marclay, Schulze el Dowy, Mappenwerke abstrakt

Leben und Kunst stehen sich doch viel näher, als man gemeinhin annimmt. Manch praktische Idee gewinnt man durch das Studium eines Kunstwerks. Die „Bird Houses“, die Christian Marclay auf die Terrasse der daad-galerie stellte, sind ausrangierte Lautsprecherboxen, aus denen der eine oder andere Lautsprecher herausgebrochen, und vor dessen einladend offenes Loch eine kleine Vogelstange montiert wurde. Ein ökologisch sinnvolles Recycling-Verfahren. Eine weitere geniale Angelegenheit mit durchaus dekorativem Charme ist „White Noise“ (1994). Marclay hat drei weiße Stellwände mit gefundenen, dicht aneinander gedrängten Fotografien vollgesteckt: Bildseite zur Wand. Das abstrakte, minimal in weiß über beige bis hellbraun changierende Muster auf den Knipserformaten wird durch vereinzelte Rückseiten-Beschriftungen gebrochen. Etwas entgeistert versucht man sich vorzustellen, was wohl auf der Vorderseite zu sehen ist, wenn hinten draufsteht: „Hansel, der Frechdachs, Juni 1966“. Dem Geheimnis nur auf der Spur ist man auch bei der Installation „210 West 14th Street“ von 1991: Durch eine kleine Seitentür in einem der Galerieräume dringt ein Mann-Frau-Dialog, leise vor sich hingemurmelt, aber auch mit unfriedfertigen Untertönen. Doch das Drama wird trotz aller Lausch-Anstrengung nicht transparent. Kommunikation ist ein Netzwerk mit zu vielen Knoten – „Net“ (1990) –, in der die Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen zerdehnt auf der Strecke bleibt.

Bis 27. Februar, Kurfürstenstraße 58, täglich 12.30-19.00 Uhr

Die Überlagerung mehrerer Bildschichten in den neuen Fotoarbeiten, die Gundula Schulze el Dowy in der Galerie Pankow zeigt, will Tiefenraum schaffen für die Mehransichtigkeit der Dinge und Situationen. „Der vergessene Gorilla“, 1992, aus der New-York-Serie „Spinning on my Heels“, ist mit einer typischen New Yorker Hausfassade überblendet. Die Feuerleitern und das Braunrot der Hauswände werden vom durchscheinend schattenartigen Gorillakopf in einen kreisförmigen Strudel gezogen. Lichtspiegelungen scheinen das Bild aus seiner Zweidimensionalität konvex herausdrücken zu wollen. Andere Licht-Farb-Effekte drängen in konkave Tiefen. Allerdings muß man die literarische Anlage der Bildmotive, etwa „Der Spiegel, das Leben“, Gizeh 1993, mögen. Ansonsten wird man sich über Bildmetaphern mokieren, die wie bei „Das große Glück“, Saqqara 1993, den schlafenden exotischen Knaben, die schlafende Schafherde und begonienrote Blumenbüsche zu einem „Orientalism“ mischen, wie ihn Edward Said als kolonialistisch kritisiert. Auch wenn Gundula Schulze el Dowy in diesen Fotografien Methoden des Sehens – vor allem des fotografischen – reflektiert, in den Kanon der europäischen, idealisierten Sicht auf den Orient fügt sie sich eher unreflektiert ein. Von ihren früheren Arbeiten, Bildern aus der Arbeitswelt, Aktstudien, denen die Norm des „schönen Körpers“ fremd ist, sind ihre heutigen entfernt. Der fotografische Schritt ins Ungesicherte begleitet den konkreten ins Innere der Großen Pyramide.

Bis 18. Februar, Breite Straße 8, Di-Fr 13-18 Uhr, Sa 14-18 Uhr

So wenig plan die Bildebene von Schulze el Dowys Großfotos scheint, so absolut flach und ebenmäßig sind die grellen Farbrechtecke in Imi Knoebels fünffarbiger Siebdruckserie „Grace Kelly“, 1990. Ob Rot, Orange, Pink, Hellblau oder Braun, die Farben haben etwas undefinierbar Schräges, Disharmonisches, Niegesehenes. Dennoch fällt das aus ihnen zusammengefügte Rechteck nicht auseinander, sondern strahlt makellos und subtil ausbalanciert. „abstract – Mappenwerke“ in der Galerie Klaus Fischer ist auch ein kleiner Lehrgang in Drucktechnik. Knoebel gegenüber hängen Zinkstempeldrucke des Bildhauers Michel Sauer. „Anatomie Ökonomie Telepathie Sympathie“, 1992/93, die kenntliche Übersetzung des dreidimensional Skulpturalen ins zweidimensional Geometrische, will sich aber durch Verdoppelung der Linienführung den umgekehrten Weg offenhalten. Jürgen Partenheimers M.O.R.V.B.K., Kassette mit 16 Radierungen, zeigt lange klare schwarze Linien und aus kleinen Strichen geballte Kreise. Die Blätter wirken formal sehr konzentriert, aber die geätzten Striche haben gegenüber der Glätte des Siebdrucks, wie sie auch bei Rune Mields „Steinzeitgeometrie“ deutlich wird, eine lebendige zeichnerische Ansprache.

Bis 12. Februar, Friedbergstraße 34, Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr Brigitte Werneburg

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