Keine Sauerei verboten

Manchmal richtig schön „ostig“: Die Kostüme der Volksbühne  ■ Von Petra Brändle

Die Töchter sahen aus wie Szenesternchen vom Prenzlberg. Plateauschuhe und ein weißer, tiefausgeschnittener Flatterfummel, Zöpfchen links und rechts, später dann turnten sie nach Entwürfen von Gabriela Reumer im derb- schicken Antischick samt Wollmütze auf dem Berg herum. Erdachte Bühnengestalten freilich, doch Doktor Wangels Töchter hätten genausogut in der Volksbühne im Publikum sitzen können.

Ist das nun also die endgültige Symbiose der Volksbühne mit ihrem Schwerpunkt-Zielpublikum aus dem Prenzlauer Berg? Der Blick ins Leben wird zur ästhetischen Adaption, die Szeneklamotte zur Kunstkopie Kostüm? Wird eine Bühne so zur „Heimat“?

Bert Neumann hält das szenenahe Styling der Wangel-Töchter zwar für eine Ausnahme auf der Volksbühne, dennoch gehöre der „Blick auf die Straße“ zur Arbeit. Der Ausstattungsleiter, Kostüm- und Bühnenbildner an der Volksbühne sucht mit seinen Kostümen einerseits das „Heutige“, um die Botschaften der Bühnenfiguren nicht von vorneherein als out of date zu konterkarieren. Doch mit modischer Massenware ist der 33jährige nicht zufriedenzustellen. Spannend fand er den 70er-Jahre- Schick, solange dieser noch Schauer und Ekel provozierte, also vor rund acht Jahren, als er in Gera ein gelbes Frotteekleid mit Plateauschuhen aus dem Fundus kombinierte. Heute gilt ihm die Abstraktion und Reduktion mehr als ein buntes Design, wie er es ansatzweise auch in den Kostümen der „Räuber“ eingesetzt hat. Denn während eine verrückte Gaultier- Kreation auf der Straße und auf dem Laufsteg als eigene Inszenierung wirke, dürfe das Kostüm auf der Bühne – als Teil einer Inszenierung – nicht zum Selbstzweck werden. Es müsse die Ausstrahlung der Rolle unterstützen, notfalls also die SchauspielerInnen einengen oder entblößen. So steckte Neumann die Männerriege in „Othello“ in SM-zeitgeistige Latexanzüge („das liegt zur Zeit eben in der Luft“), nackt und doch eingezwängt stolpern sie über die Bühne. Wie immer an der Volksbühne gilt für die Kostüme: „Keine Sauerei wird ausgeschlossen“, so Ulrike Köhler, die Kostümdirektorin am Haus. Also hängt jedes Kostüm zur Sicherheit doppelt, manchmal gar dreifach im Fundus.

Doch Bert Neumanns Kostümverweise beziehen sich nicht nur auf die Gegenwart: Von den blauen Arbeiteranzügen in der „Stadt der Gerechtigkeit“ führt eine direkte Linie zu Meyerholds Entwürfen „biokinetischer“ Anzüge. Im „Käthchen von Heilbronn“ am Deutschen Theater hingegen (wo die Kostüme generell „viel kulinarischer“ seien) verweist er mittels verfremdeter Formen und Farben auf mittelalterliche Mode. Auch seine Krinolinen, die in Frankfurt/Main einst unter Strickkleidern steckten, verwiesen verfremdet auf Vergangenes – und auf verflossene DDR-Zeiten! Das Hausmädchen nämlich sollte Neumanns Entwürfen zufolge über der Krinoline ein typisches DDR-Dederonkleid tragen. Sollte! Der Schauspielerin aus dem tiefsten Westen war das „zu häßlich, zu ostig“.

Genau diese Bildzitate finden sich auf der Volksbühne, wenn auch in abnehmendem Maße, immer wieder: „ganz erbärmliche“ (Neumann) braune Armeesportklub-Anzüge mit orangen Streifen, Honni-Brille und -Hut, Anoraks und Dederonstoffe (für Westler: Nylon) gehören für Bert Neumann wie auch Ulrike Köhler zur Biographie. Diese DDR-Sachen „ham einfach 'ne Seele“, so Ulrike Köhler – auch wenn sie schon der Gedanke an vollsynthetische Stoffe unangenehm kribbelt.