„Writers“ unterwandern die „train-cops“

■ Ostberliner Sprayer haben mit BGS und Wachschutz mehr Probleme als mit „Moritz“ An „corners“ trifft man sich zum gemeinsamen Sprühen, vor dem Kadi steht jeder allein

„Besonders kraß“, überschlägt sich Jens vor Lachen, „war es am S- Bahnhof Friedrichshagen. Da saß doch tatsächlich ein Wachschützer im Zug, wir angefangen zu sprühen und plötzlich geht die Tür auf.“ Daß er und die anderen „writers“ nicht erwischt wurden, meint der 15jährige Schüler aus Friedrichshain, „lag daran, daß der Wachbulle schon ziemlich alt war“. Nach zwei Jahren „trains“, darauf ist Jens stolz, haben sie ihn erst einmal „gebustet“.

„Veni, vidi, sprühii“: Die Zeiten, in denen gebildete Lateiner an Berliner Häuserwänden Humor versprühten, gehören der Vergangenheit an. Längst hat sich die Graffiti-Szene zur Subkultur erhoben und lehrt nicht nur die BVG, sondern auch gestandene Kunstlehrer das Fürchten. Das Bemalen von Häuserwänden und BVG-Polstern mit kryptischen Schriftzügen, „das taggen“, bemerkt Jens abfällig, „macht im Osten mittlerweile jeder“. „In“ sind nur noch „trains“. Doch auch beim Besprühen von U- und S-Bahn-Zügen gibt es unterschiedliche Standards: „Bei den quicks oder throw ups“, stellt Fabian seinen Englisch-Lehrer in den Schatten, „werden wegen der ungünstigen surroundings nur die outlines gezogen“. „Krasser“ ist da schon ein „panel“, ein buntes Bild, bei dem auch die Scheibe des Waggons nicht verschont bleibt. „Aber das größte“, sagt der 15jährige Gymnasiast, seien die „hoolcas“ (ganzer Waggon) oder „whoolcas“ (ganzer Zug).

Bis es dazu kommt, ist freilich Nervenkitzel angesagt: „In Buch“, sagt Fabian, „sind wir fast mal gebustet worden. Da saßen welche vom BGS unterm Zug, und plötzlich hatten wir das Licht der Taschenlampe im Gesicht.“ Für Fabian sind die jüngsten Festnahmen allerdings kein Grund zur Panik: „Gab's schon immer“, sagt er, „auch Durchsuchungen.“ Bahnhöfe und Gleise seien schließlich nicht erst seit gestern mit BGS und Wachschutz „zugeschissen“. „Da hilft nur eins“, gibt sich auch Jens gelassen: „Cool bleiben.“

Ganz „besonders cool“ war, da sind sich beide einig, „der Sommer 92“. Für Fabian und Jens war das der Durchbruch in die Szene. Fortan waren die beiden samt Kumpels eine „crew“ und bald im inneren Kern der etwa 150 „writers“ im Ost- und Westteil der Stadt. Die meisten von ihnen – in- und ausländische Dosenkünstler – treffen sich an den „corners“, konspirativen S-Bahnhöfen, um von dort in Gruppen zur Arbeit zur fahren. Auch Christina. Mit zwanzig anderen Mädchen gehört sie zu einer reinen „Weibergang“. „In den Männercrews“, lacht die 15jährige, „werden wir doch eh nur unterdrückt.“ Tony neben ihr widerspricht nicht, grinst nur. Mit den „gangbangers“ dagegen können sich beide nicht richtig anfreunden. „Das sind Hardcore-Typen“, sagt Christina, „die ziehen zwar tierisch einen ab, sprühen aber lange nicht so toll wie die ,creative writers‘.“ „Links dagegen“, bemüht sich Tony zur Ehrenrettung der gangbangers, „sind wir alle“. Tony weiß warum: „1. Mai in Kreuzberg oder Olympia, klar, daß wir da mitmischen.“ Nur gezielt „Faschos jagen“, überlassen sie dann doch lieber den Autonomen.

Auch den kollektiven Umgang mit der Staatsgewalt: „Wer erwischt wird, hat Pech“, meint Tony. Spätestens beim Gang zum Kadi oder zur Jugendgerichtshilfe ist jeder auf sich allein gestellt. Wie Fabian. Erst vor kurzem wurde er vom Jugendgericht zum BVG-Putzen verdonnert. Kein Wunder, daß sowohl er als auch Tony mittlerweile „legale Aufträge“ annehmen und ihre Fotos „anderswo gebunkert“ haben. Doch über die Absicht der BVG, künftig „Zivis in die corners zu schleusen“, können sie nur lachen: „Wir fahren eh nur mit denen, die wir kennen“, meint Jens. „Und wenn die Bullen wie neulich an der Friedrichstraße auflaufen und uns mit Fotos von Sprayern und blöden Fragen nerven, suchen wir uns einen neuen Treffpunkt.“ Andersrum allerdings, erzählt Jens nicht ohne Stolz, sei die Unterwanderung kein Problem: „Es gibt einen Bahnhof, da läßt uns der Wärter immer nach Dienstschluß rauf.“ Und Fabian ergänzt: „Der Vater von 'nem Kumpel ist selber BVG-Fahrer, und der hat 'ne eigene Foto-Sammlung von besprühten Zügen.“ Fabian grinst: „Wollen die den etwa auch verhaften?“ Uwe Rada

Fotos Großbild: DB/RCB