Grußbotschaft an „Moritz 30“

■ BVG-Sonderkommission jagt Graffiti-Sprayer / Für die subversiven Künstler ist dies jedoch ein Ansporn zu noch kühneren Taten / Bemalte Waggons werden sofort gereinigt

Mittlerweile vergeht kaum noch ein Tag, an dem die Sprayer – dank der regen Polizei – nicht Thema in den Nachrichten sind. Wohnungen von Jugendlichen werden ohne Gerichtsbeschluß wegen angeblicher Gefahr im Verzuge durchsucht. Mappen mit hunderten von Fotos beschlagnahmt, auf denen zu Kunstwerken umgestaltete Hauswände und Züge zu sehen sind. Über den zweifelhaften Beweiswert solcher Fotoalben wird die Öffentlichkeit jedoch im unklaren gelassen. Auch die BZ trägt kräftig zur Stimmungsmache gegen die Sprüher bei: BVG setzt Sonderkommission „Graffiti“ ein, titelte sie unlängst auf der Titelseite.

Dabei tobt der nächtliche Kleinkrieg in den dunklen U-Bahn- Schächten nicht erst seit gestern. Weil der Sieg nach Punkten meist an die Sprayer ging, hat die BVG jetzt aufgerüstet: Eine zehnköpfige Sondereinheit mit dem Namen „Moritz 30“ konzentriert sich nun auf den harten Kern der Sprayer- Szene. Das seien 1.000 bis 2.000 Jugendliche aus allen Stadtbezirken, die in unzähligen Kleingruppen agierten, berichtet der Leiter von „Moritz 30“. Die Sondertruppe will vor allem den Urhebern der großen Graffiti-Bilder an den Außenwänden der abgestellten Züge das Handwerk legen. Der normale Fahrgast hat solche Bilder noch nie gesehen, weil die fahrenden Kunstwerke sofort in der Reinigungsanlage verschwinden.

Um an die harte Szene heranzukommen, verkleiden sich die Beamten von „Moritz 30“ manchmal mit „ollen Klamotten“ als Bahnhofspenner und legen sich an den Abstellgleisen und Endbahnhöfen auf die Lauer. „Das Jahr fing sehr gut an, am Gleisdreieck haben wir einen Sprayer in flagranti erwischt“, freut sich der Chef von „Moritz 30“. Der Rest der Gruppe sei aber über die Schienen entkommen: „Die können rennen, das ist sagenhaft.“ Als sportliche Herausforderung will „Moritz 30“ den Auftrag jedoch nicht verstanden wissen, denn viele Sprayer seien bewaffnet und gewaltbereit. „Die Kollegen von der Polizei rennen mittlerweile nur noch mit gezogener Waffe in den Tunnel.“

Für den harten Kern der Westberliner Sprüherszene ist „Moritz 30“ jedoch ein „kleiner Ansporn“ für weitere Aktionen. Über die Zahlenvorstellungen, die die BVG vom harten Kern hat, schüttelt die Ingroup amüsiert den Kopf. „Richtig an die Züge rangehen und große Bilder sprühen, das tun vielleicht zehn bis zwanzig Leute“, erzählen drei Jugendliche aus dem Expertenkreis. Von der Einrichtung des U-Bahn-Sonderkommandos haben sie aus der BZ erfahren und auf die Herausforderung noch in derselben Nacht reagiert. Auf einem Gleis am Bahnhof Olympiastadion sprühten sie auf einen lila grundierten Waggon in großen Lettern das Schriftzeichen der BZ und dahinter „Notruf Moritz“ als Grußbotschaft an die Gegner. Zur großen Enttäuschung der subversiven Künstler hielt die BVG den Farbanschlag jedoch geheim. „Am nächsten Mittag um 12.00 Uhr fuhr der Wagen wieder frischgeputzt“, so die frustrierten Sprayer. Woher sie das wissen? „Wir kennen den Betriebsablauf und die Waggonnummern genau und haben auf einem Bahnhof auf der Linie gewartet, um Fotos zu machen.“

Im letzten Jahr wurden 129 große Graffiti auf die Waggons gemalt. Doch sämtliche Bilder wurden gleich eliminiert. „Berlin ist die radikalste Stadt: Wir machen am meisten, aber es fährt am wenigstens herum“, klagen die Aktivisten. Um dennoch zu erreichen, daß die bemalten Waggons zum Einsatz kommen, demolieren sie bei anderen Zügen die Fenster und kleistern die Türen zu. Doch die BVG tut ihnen den Gefallen nicht. „Die warten mit Videokameras auf den Bahnhöfen. Wenn der besprühte Zug käme, wären die in ihrer Gruppe doch der absolute König“, entrüstet sich der Leiter von „Moritz 30“.

Die „Graffiti Assoziation“ – ein Zusammenschluß von Sprayern, die illegalen Aktionen abgeschworen haben – versucht vergebens, der BVG ein paar alte Züge aus den Rippen zu leiern. Das „Corporal Design der U-Bahn“, begründet BVG-Sprecher Wolfgang Göbel die rigorose Ablehnung solcher Anfragen, sei nun mal „sonnengelb“. Im vergangenen Jahr hätten die Verkehrsbetriebe über neun Millionen Mark für die Beseitigung der Graffiti-Schäden ausgegeben, klagt Göbel. Daß der Reinigungsfimmel übertrieben ist, findet er nicht. Laut Umfrage lehnten 70 Prozent der Fahrgäste Graffiti „generell als Verunreinigung“ ab. Die äußere und innere Sauberkeit der Züge sei für die meisten gleichbedeutend mit Sicherheit.

Nur einmal gab es eine Ausnahme. Nach der Wiederinbetriebnahme der Linie U2 im November letzten Jahres mußte die BVG bemalte Waggons einsetzen, weil im Berufsverkehr sonst Engpässe entstanden wären. „Die Wagen waren leider nicht gut gesprüht, weil wir pro Zug nur sieben Minuten Zeit hatten“, erinnert sich einer der Profis traurig. Plutonia Plarre