Die Grauzonen des Rechts betreten

■ Oberstaatsanwalt Weber legt Zahlen zu rechtsextremen Straftaten vor / Rund 500 Anklagen erhoben / Die meisten Tatverdächtigen sind jünger als 21 Jahre / Ein Fall wegen Brandstiftung wurde eingestellt

Bei rechtsextremen Gewalttaten sei Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern „relativ glimpflich davongekommen“, konstatierte gestern ein sichtlich zufriedener Oberstaatsanwalt Carlo Weber im Moabiter Kriminalgericht. Von den 1.473 Ermittlungsverfahren mit rechtsextremistischem beziehungsweise ausländerfeindlichem Hintergrund, die seine Abteilung 11 am Landgericht im letzten Jahr einleitete, sei nur ein Fall von Brandstiftung darunter gewesen. Und den habe man wegen „dürftiger Beweislage“ letztendlich einstellen müssen.

Dem Vorurteil, die Berliner Justiz könne möglicherweise auf dem rechten Auge blind sein, trat Weber mit beeindruckendem Zahlenmaterial entgegen. Hartnäckig habe die Abteilung – deren Kompetenzen im Januar 1993 bei der Verfolgung extremistischer Straftaten erheblich erweitert wurden – auf Anklageerhebung gedrungen, auch sei der Anteil der Freisprüche ebenso „geringfügig“ wie die Einstellung von Verfahren. Denn Strafe, so Weber, bleibe ein „wichtiger Faktor bei der Verteidigung des Rechts“. – Um diesem selbstgesteckten Ziel näher zu kommen, mußte die siebenköpfige Sonderabteilung der Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr zahlreiche Überstunden ableisten. Konkret wurden mittlerweile gegen 492 Beschuldigte Anklage erhoben, fast die Hälfte davon sind Jugendliche oder Heranwachsende. Insgesamt leitete die Sonderabteilung gegen 1.097 bekannte Personen Ermittlungsverfahren ein, von denen zum Zeitpunkt der Tat 537 jünger als einundzwanzig Jahre waren. Die Anzahl der Gewaltdelikte sei, so Oberstaatsanwalt Weber gestern, in den letzten Monaten leicht gestiegen: Von knapp fünf Prozent im Januar 1993 auf nunmehr rund zehn Prozent.

Einen Schwerpunkt der staatsanwaltlichen Bemühungen bildete jedoch die Verfolgung von Fällen, in denen nationalsozialistische Symbole oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet wurden – ingesamt 899. Stolz verwies Weber darauf, daß seine Abteilung sich bei der „Generalprävention“ in diesem Bereich in „Grauzonen“ des Rechts hineingewagt hat. Als Beispiel nannte er den Ruf „Ausländer raus“, der an sich durch den Artikel 5 (Meinungsfreiheit) des Grundgesetzes gedeckt und daher nicht strafbar sei. Doch in Kombination mit nationalsozialistischen Symbolen habe man in zahlreichen Fällen Anklage wegen „Volksverhetzung“ erheben können.

Man müsse „mutig angreifen“ und nicht höchstrichterliche Entscheidungen abwarten, betrieb Weber gestern in einem Atemzug Kollegenschelte und Selbstlob zugleich. Severin Weiland