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: Wie ein Loch im Herzen

„Dämmerung – die Ostberliner Bohème der fünfziger Jahre“, Do., 22.45 Uhr, B 1

„Dämmerung“ hieß die bedeutungsschwangere Metapher, die da für eine Ostberliner Bohème der fünfziger Jahre Symbol stehen mußte. Bohème in Ostberlin, im ganz anderen Deutschland, wo es von neuen Menschen nur so wimmeln sollte – bisher konnten wir gerade mal ahnen, daß es so etwas vielleicht gegeben hatte. Bohème in der Hauptstadt der DDR – wegen zu starken Tabaks hustende Künstler, gerahmt von leeren Rotweinflaschen in kargen Hinterhofzimmern etwa? Die Klischees, mit denen die Dokumentation einsetzte, waren nicht so viel anders.

Peter Voigt, Mitglied der damaligen Szene, hat ausgiebigst Zeitzeugen befragt, Schauspieler, Maler, den gestürzten Agitprop-Journalisten Schnitzler. Die Reise in die Vergangenheit ihrer Roaring Fifties gerät zur wehmütigen Verklärung der Jugend von nun Sechzigjährigen, in deren Erinnerungsmatrix die Aufbruchstimmung leuchtend eingestanzt ist: phantastisch war es, das Leben. Ein Riesenspaß. „Die Landschaft war öde, die Menschen waren optimistisch, der Schnaps war gut, die Bars waren wunderbar“, schwärmt Bildhauer Werner Stützer. „Dämmerung“ transportiert durch die Befragten den Mythos einer „wide open city Berlin“ zwischen Kaltem Krieg und allmächtiger Öffnung – immer in Erwartung dessen, was einmal sein würde.

Die Friedrichstraße taucht als Meile der Bars, Kellerlokale, Kaffeehäuser aus dem Dunkel; berühmte Namen, die bei „Hajo“ und im „Pressecafé“ einkehrten. Gewaltig wird der Betrachter angeweht vom Vergnügen, das es damals war zu leben; dennoch ist „Dämmerung“ kein heiterer Rückblick. „Unsere persönliche Geschichte, sie grinst uns hinterher“, trauert einer, auf den – wie auf die anderen auch – der schicke Begriff Bohème nicht so recht passen will. Die Filmer collagieren mit Kamerafahrten durch das Wende-Berlin, in Interviews und Archivsequenzen das Bild einer Künstlergeneration, die die Härten der Zeit in neue, artifizielle Wirklichkeiten zu verwandeln suchte. Man muß sie nicht Bohème nennen, vielleicht nur Jugend. Erst heute, in der Dämmerung des Gestern, setzt der Flug der Minerva, das Begreifen ein. Diese filmische Psychogeographie des Damals hinterläßt ein Gefühl von Verlust. Wie ein kleines Loch im Herzen. Zeit vergeht, und man bleibt vielleicht immer jung. Anke Westphal