"Ich sehe aus wie die ganze DDR"

■ "Bullerjahn": Kurt Böwe ist der neue Kommissar des ersten "Polizeiruf 110" der ARD, So, 20.15 Uhr

„Polizeiruf 110“, so etwas wie der Seismograph der DDR, war mit Zuschauerquoten von durchschnittlich 40 Prozent, sehr oft aber auch über 60 Prozent, die beliebteste Fersehserie im Arbeiter- und Bauernstaat. Nun soll sie, gewendet, als reguläre Krimireihe zehnmal jährlich im deutschen Fernsehen die Ost-„Komplementärfarbe“ zu den etablierten Westserien „Tatort“ und „Die Männer vom K3“ abgeben.

Daß die west-bestimmte ARD sich nach fast vier Jahren auf das erfolgreiche Stiefkind aus dem Osten besinnt, das immerhin zwischen Wladiwostok und Havanna so verbreitet war wie „Derrick“- Tappert im Rest der Welt, erklärt sich der kommende „Polizeiruf“- Star Kurt Böwe mit der Sorge um die Zuschauergunst Ost. Die liegt, wie die neusten GfK-Zahlen zeigen, tatsächlich so deutlich unter den Westwerten, daß in den neuen Ländern praktisch jeder fünfte Stuhl der ohnehin kurzen ersten Reihe leer bleibt.

Den Anfang der neuen „Polizeiruf“-Zeitrechnung macht morgen die hochkarätig ostdeutsch besetzte Folge „Bullerjahn“ des NDR. Darin kriegt der altgediente Kriminale Kurt Groth in Schwerin einen jungen Schnösel, den ehrgeizeigen Kriminalhauptkommissar Jens Hinrichs, vor die Nase gesetzt. Der hat zwar keine belastende DDR-Vergangenheit, kommt aber frisch von der Leipziger Akademie und meint, er könne alles mit dem Computer, mit Logistik und diesen neumodischen Ermittlungstechniken lösen.

Als in Mecklenburg immer wieder Vieh verschwindet, wollen die aufgebrachten Bauern schon zur Selbsthilfe greifen. Denn Hinrichs dämmert erst ziemlich spät, daß „ich meinen Computer hier wohl vergessen“ kann. Kurt Groth alias Kurt Böwe nimmt daraufhin die Dinge selbst in die Hand. Mit ihm sprach Ulla Küspert.

taz: Im Westen kennen Sie nur Theaterfans. Im Osten sind Sie dagegen bekannt wie ein bunter Hund, vor allem durch Film und Fernsehen. Trotzdem sah man Sie im wiedervereinigten Fernsehen kaum. Wieso?

Kurt Böwe: Das hängt damit zusammen, daß wir nicht erwünscht waren. Unsere Filmfirmen sind abgewickelt worden zugunsten der neuen kapitalistischen Industrien. Dort hat man uns nicht gebraucht. Und um sich anzupreisen, ist man ja ein bisserl zu stolz.

Offenbar hat sich das Blatt mittlerweile gewendet.

Wenn das Fernsehen nun wieder den „Polizeiruf“ macht, dann sind sie offenbar darauf gekommen, daß sie die Ostleute in ihrem Bund-Fernsehen ganz vergessen haben. Jetzt merken sie, daß sie die irgendwie wieder zu Wort kommen lassen müssen. Ich denke, das sollte man ganz wörtlich nehmen.

Warum gerade in der einstigen Vorzeige-Serie der DDR? Geht es Ihnen um eine alte Tradition?

Ja und nein. Ost und West sind nun mal zwei unterschiedliche Gebilde. Und wenn ich nun schon einen Kriminalen spiele, werde ich also weder Herrn Schimanski, Herrn Derrick, oder wen es da sonst noch alles gibt, nacheifern.

Welchen Unterschied sehen Sie zu diesen West-Kommissaren?

Einen großen! Der Polizist immer ein Stück der offiziellen Macht. Aber Kriminalisten wie der Groth, die bei uns hier recherchieren, haben derzeit weder Macht noch großen Einfluß.

War das beim „Polizeiruf“ der DDR, bei dem Sie ja auch mitgespielt haben, etwa anders?

Da war ich eh nur einmal dabei, 1979. Aber beim DDR-„Polizeiruf“ ging es gar nicht so sehr um die Kommissare, sondern um „Rechtssicherheit im Sozialismus“. Und mein Freund, der weißhaarige Borgelt, war die Inkarnation des guten Polizisten im guten Staat. Nach dem Motto: „Dein Freund und Helfer, der wird's schon richten.“ Mehr als die drei Töne haben sie ihm ja nicht gestattet. Und es stand auch immer einer daneben, der aufpaßte, ob der Schlips richtig sitzt, und ob das Wort nun falsch gewählt ist oder nicht.

Mehr Spannung hinter der Kamera als davor?

Natürlich war alles ein bißchen flach, was die Jungs da machen mußten. Das wußten die Zuschauer aber auch – so dumm waren sie ja nicht. Aber die Geschichten, die erzählt wurden, zeigten gewisse Konflikte mit dem System. Da haben die Leute eben doch hingeguckt.

Was für Geschichten erzählt nun der neue „Polizeiruf“ aus Schwerin?

Mecklenburgische. Jedenfalls keine Spannungskisten mit Pistolen und fortwährend quietschenden Reifen. Es geht eher „fußgängerisch“ zu. Wie das halt so ist, in einem Land mit großen Schwierigkeiten, viel Tristesse und einer gewissen Lethargie. Auch die Polizei kann da nicht so splendid aussehen wie im Westen.

Wie sieht sie denn aus, die Ost- Polizei?

Ganz realistisch. Die Kriminalpolizisten sind nach der Wende erst einmal rausgeworfen worden, weil sie in der Partei waren. Also wurden rasch ein paar junge Leute ausgebildet, wie dieser Hinrichs. Das sind jetzt die neuen Chefs.

Aber der wirkliche Chef sind Sie. Was ist Ihnen wichtig an der Figur dieses ehemaligen Hauptkommissars der ehemaligen Volkspolizei?

Ich sehe aus wie die ganze DDR – rundgewachsen, aber auch mit diesem Hintergrund, der nicht so schnell zu erraten ist. Wenn der Chef von der ehemaligen LPG zu mir sagt, „Na du rote Socke ...!“, dann stimmt das. Ich bin der, den sie rausgeschmissen, dann aber wieder eingestellt haben, weil ihnen die Leute fehlten. Dieser Groth liebt seinen Beruf, kann aber nicht mehr Kommissar sein, sondern nur Unterkommissar. Sein Chef ist jetzt dieser junge Hinrichs. Diese Zurücksetzung nagt an ihm.

Ein ziemlich ungleiches Gespann. Kann das denn gut gehen?

Der Konfliktstoff liegt auf der Hand. Das ist so etwas wie „Flucht in Ketten“. Bei diesen beiden Napsülzen weiß man ja erst gar nicht, ob sie überhaupt einen Fall lösen können. Aber darin können sich unsere Leute wiedererkennen, gerade in der Polarität dieser Figuren und ihrer merkwürdigen Existenzbehauptung.

Ihr (West-)Regisseur Manfred Stelzer meint, dem Kommissar Groth merke man an, daß er nicht mit der Stasi zusammengearbeitet hat. Was meinen Sie?

Natürlich hat auch der Groth mit der Stasi zusammengearbeitet. Das hat jeder, der hier Kriminalpolizist war – oder Theaterleiter oder sonst irgendwas. Die Stasi ist gekommen und hat gefragt: Was macht denn XY? Jeder, der Realist ist, weiß das. Es ist auch kein Aufhebens davon zu machen.

Dieser etwas kauzige mecklenburgische Dickschädel Groth hört, genau wie Sie, auf den Vornamen Kurt. Ist das Zufall?

Selbstverständlich ist der Groth ein Stück von mir. Aber Manfred Krug spielt ja wohl auch nichts anderes als sich selbst. Und auch Jean Gabin hat vor allem sich selber zu Markte getragen.

Sie sind nicht „rübergemacht“. Früher nicht und jetzt auch nicht. Mangel an Gelegenheit?

Nein. Das hat, wie bei vielen, etwas mit meiner Biographie und meinen Auffassungen zu tun. Selbstverständlich bin ich mit Absicht dageblieben. Ich wollte keinen kapitalistischen, sondern einen sozialistischen Staat. Aber natürlich einen, wie wir ihn uns vorstellten ...

Sie sind seit 20 Jahren am Deutschen Theater, einer renommierten Berliner Bühne, engagiert. Wie paßt die „große Kunst“ zu einem Fernsehkrimi, auch noch in Serie?

Das geht sehr wohl zusammen. Außerdem sind es nur zwei Stücke im Jahr. Das ist ziemlich wenig. Zu einer Serie, wo ich dreizehnmal den Kopf hinhalten müßte, hätte ich keine Lust. Dabei verdient man zwar sehr viel Geld, aber das interessiert mich nicht.