■ Kulturelle Säuberungen: Über Brücken und Zivilisation
Daß Brücken in Kriegen nicht nur eine strategische Rolle spielen, ist spätestens seit der „Brücke am Kwai“ eine Binsenweisheit. Der englische Offizier in japanischer Kriegsgefangenschaft, der in dem fälschlich oft als Antikriegsfilm bezeichneten Schinken mit seiner Kompanie zuerst per termingerechtem Bau einer Eisenbahnbrücke seinen schlitzäugigen Peinigern die Überlegenheit europäischer Kultur beweist, zerstört am Ende sein Werk nicht nur physikalisch. Gemäß der Botschaft geht es vielmehr darum, die überlegenen Fähigkeiten des Weißen zu zeigen, der einerseits erschaffen, aber auch zerstören kann.
Neben ihrem Gebrauchswert geben Brücken den Ideologen Aufschluß über vielerlei, so auch darüber, wie hoch die Kultur der Erbauer entwickelt ist. Hier liegt das Problem der serbischen und kroatischen Parteien im jugoslawischen Bürgerkrieg. Vor allem in Bosnien finden, oder besser: fanden sich unzählige Beweise für die unvergleichlich höhere Entwicklungsstufe der osmanisch-türkischen Kultur gegenüber der katholischen oder der orthodoxen – nicht nur die berühmten Brücken von Jaice, Mostar oder Visegrad. Jedes dritte Dorf auf den alten Karawanenwegen von Mitteleuropa nach Istanbul wurde um eine türkische Brücke, Festung oder Karawanserei herum gebaut. Die Zerstörung dieser Bauten muß also jedem guten Nationalisten katholisch-kroatischer oder orthodox-serbischer Ausrichtung eine Herzensangelegenheit sein – zumal sich die „Warheads“ historisch in bester Gesellschaft befinden: Ob die serbo-kroatischen Terminatoren die „Brücke am Kwai“ kennen oder ihnen bewußt ist, daß seit der Befreiung des Balkans vom „türkischen Joch“ gute 90 Prozent der osmanischen Bauwerke zerstört worden sind oder nicht, haben europäische „Befreier“ immer so gehandelt. Kreuzritter haben Byzanz angezündet, auch die Zeugnisse der altamerikanischen Kulturen wurden von Christen zerstört. Auf dem Balkan war die Zerstörung des kulturellen Erbes der Osmanen aus der Sicht der Sieger eine logische Folge ihres militärisch-politischen Triumphes. Gemäß europäischer Tradition, möglichst sowohl alle Überreste der eigenen, nichtchristlichen Vergangenheit als auch die Kultur der Besiegten zu tilgen, verhalten sich die Kriegstreiber völlig korrekt. Leidtragende sind die Menschen. Nach der „Befreiung“ Griechenlands führte die Zerstörung der Bäder und der Kanalisation zu Seuchen: In Bosnien-Herzegowina verhindert die Zerstörung von Brücken die Flucht ebenso wie die regelmäßige Belieferung der Eingeschlossenen durch die UN-Hilfskonvois. Rüdiger Rossig
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