Zwischen Europa und Asien

Die Brücke über den Bosporus ist ein Symbol der Zwölf-Millionen-Stadt, doch die Istanbuler fluchen auf sie  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Verflucht sei die Stadt. Verflucht sei die Brücke. Es ist sieben Uhr abends, und ich bin eingesperrt in einem Käfig. Unsinnigerweise heißt der Käfig „Automobil“. Doch von Mobilität keine Spur. Seit über einer Stunde hänge ich im Stau fest, um die Bosporus- Brücke zu überqueren. Freunde hatten mich gewarnt, als ich sagte, daß ich mit dem Auto nach Hause fahren will: „Laß es sein, nimm lieber die Fähre.“ Ich hörte nicht auf ihren Rat – wie Millionen anderer Istanbuler, die versuchen, zum Feierabend nach Hause zu kommen.

Die Istanbuler fluchen auf ihre Brücke. Doch gegenüber Ausländern beschreiben sie sie als „eine mit Diamanten beschmückte Perle, die der Schönheit der Stadt Ausdruck“ verleihe. Neben Moscheen und imposanten osmanischen Herrscherhäusern ist die Brücke zum Symbol der Zwölf- Millionen-Stadt geworden. Im Jahre 1973, zum 50. Jahrestag der Gründung der türkischen Republik, wurde die Brücke eingeweiht. Als Architekten und Stadtplaner gegen den Bau der Brücke mobil machten, wurden sie zu „Vaterlandsverrätern“ und „Kommunisten“ abgestempelt.

Natürlich ist sie imposant, die 1.560 Meter lange Hängebrücke, auf der man mit dem Auto von Europa nach Asien hinüberfahren kann, während 64 Meter tiefer riesige Tanker schippern. Die Brücke, an deren Bau die deutsche Hochtief AG maßgeblich beteiligt war, wurde zwar vom türkischen Staat in Auftrag gegeben, ist aber mittlerweile privatisiert. Rund zwei Mark muß man bezahlen, um von Europa nach Asien zu gelangen. Nördlich dieser Brücke wurde 1988 eine zweite Brücke gebaut. Man taufte sie nach dem osmanischen Sultan, der die Stadt erobert hatte: Sultan Mehmed II. Sein Beiname: „Fatih“ – der Eroberer.

Auch heute stellen die Lobbyisten den Bau neuer Brücken als Eroberung der Moderne dar. Doch diese Eroberung ist auch ein Gewaltakt, der sich nach Ansicht kritischer Stadtplaner besonders gegen den bewaldeten Norden entlang des Bosporus und gegen die Wasserressourcen der Stadt richtet. Die erste Bosporus-Brücke war nur sechsspurig, die Fatih- Brücke ist bereits achtspurig. Der türkische Bauminister Onur Kumbaracibasi hat jetzt bereits eine dritte Brücke im Auge. Täglich überqueren rund 250.000 Fahrzeuge die beiden Bosporus-Brücken – bei einer Million zugelassener Fahrzeuge in Istanbul.

Die Fatih-Brücke hat rund 550 Millionen US-Dollar gekostet. Daß man das Geld lieber in den Bau einer U-Bahn hätte stecken sollen, argumentieren noch heute die Kritiker. Auch Umweltminister Riza Akcali sagt, daß ein dritter Brückenbau den bewaldeten Flächen der Stadt einen weiteren Schlag zufügen wird: „Eine dritte Brücke würde die grüne Lunge Istanbuls kaputtmachen.“

„Brücken verbinden Menschen und Kontinente“, so behaupten die Lobbyisten. Wenn ich diese Floskel höre, fallen mir stets die mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten ein, die auf den Brücken Dienst schieben. Die Brücken erfordern einen gewaltigen Sicherheitsapparat, sie sind für Fußgänger gesperrt – zum einen aus Sicherheitsgründen, zum anderen, um Selbstmörder fernzuhalten. Dennoch sind Dutzende von Menschen von der Brücke in den Tod gesprungen. Sie sind mit dem Auto gekommen, haben angehalten und sind gesprungen, bevor die Polizisten eingreifen konnten. Nur zwei haben den Sprung ins Wasser überlebt.

Bevor es die Brücken gab, haben die Fähren, die 1844 den Betrieb auf dem Bosporus aufnahmen, die beiden Stadthälften verbunden. Damals begannen die Bewohner, in Asien zu leben und in Europa zu arbeiten. Mit dem Konzept der autogerechten Stadt, für die eine Meerenge kein Hindernis ist, wurden die Fähren zu Stiefkindern. Doch die Menschen leisten Widerstand. Noch immer fahren Hunderttausende täglich mit der Fähre. Ein pensionierter Kapitän offenbart seine Hoffnung, wenn er sagt: „Istanbul hat die breiteste Straße Europas, den Bosporus. Und irgendwann werden die Menschen es lernen, diese Straße zu nutzen.“