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Mutwille zum Zeitstück

Bratapfelmunter: „Gedeckte Tische“ von Anna Langhoff am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt  ■ Von Petra Kohse

Das Zeitstück gehört zu einer seltenen Spezies. Es präsentiert einen selbstredend aktuellen Stoff so, wie er nirgendwo anders als auf dem Theater formuliert werden könnte. Idealerweise findet sich dann noch eine kongeniale Regie, und schon kann das Gerede von der ästhetischen Krise des Theaters wieder aufhören. Ein Thema, eine Sprache, eine Form – ein Theatermärchen.

Anna Langhoff hat jüngst ein Stück mit aktueller Thematik geschrieben. Unter dem Titel „Transit Heimat“ ist es im Henschel Schauspiel erschienen, als „Gedeckte Tische“ hat es Sewan Latchinian jetzt in der Baracke des Deutschen Theaters in Berlin uraufgeführt. Die Küche eines Asylbewerberheimes wird gezeigt und natürlich ihre Benutzer. Rumänen, Russen, Juden, ein Pole, ein Serbe und seine schwangere Gattin, eine Kroatin. Sie können sich untereinander nicht leiden und machen sich das Leben schwer. Sie können die deutsche Sozialarbeiterin nicht leiden und machen ihr das Leben schwer. Sie können Deutschland nicht leiden, das sie sich ganz anders vorgestellt haben. Sie leiden, während sie unentwegt kochen, an sich selbst.

Die Sozialarbeiterin initiiert ein multikulturelles Vereinigungsessen, zu dem sie selbst dann nicht erscheint. Der Russe findet sie ermordet vor dem Wohnheim. Ein rechtsradikales Bekennerschreiben lag neben der Leiche, er unterschlägt es, weil er keinen Ärger mit der Polizei will. So wird der Pole verdächtigt und festgenommen. Am nächsten Tag erhält der Russe tatsächlich seinen deutschen Paß und mag nun erst recht nicht als Mann der zögerlichen Wahrheit dastehen. Der Pole erhängt sich in seiner Zelle.

Das Stück ist dramaturgisch nicht völlig ungeschickt, enthält auch Ansätze eines psychologischen Realismus. Statt Charaktere wirklich herauszuarbeiten, bemüht es sich jedoch um einen mit Betroffenheit und Folklore durchtränkten Panorama-Zugriff und verschwimmt, Klischee für Klischee, zu einer unkonzentrierten Milieuskizze. Unseligerweise bedient sich Anna Langhoff auch gerne einer altbackenen Enthüllungstechnik, mit der sie ihre eigenen Naturalismusbestrebungen hintertreibt: Die Figuren nutzen Gesprächspausen schamlos dazu aus, ungefragt ihren Leidensweg zu explizieren. Für die Dauer des traurigen Schicksalsberichtes perfektioniert sich das Ausländerdeutsch dann wundersamerweise und wird mit komplizierten Metaphern angereichert.

Latchinian liefert sich den Untiefen des Textes willig aus und umschifft kaum eine Klippe drohender Peinlichkeit. Käthe Reichel, die am Deutschen Theater das Fach der mildtätigen Alten fest verwaltet, läßt er als Sozialarbeiterin den Blick schmerzlich in die Ferne schweifen, während sie mit „ihren“ Asylbewerbern spricht. Dann wieder gestattet er Exaltationen einer Bratapfel-Munterkeit, die auch bei gutwilligster Betrachtung Knebelwünsche wachwerden läßt. Die Reichel ist über Gebühr schlecht, während die anderen mit wechselndem Erfolg versuchen, ihre Reißbrettfiguren mit Leben zu füllen. Dabei müssen sie aber zuerst mal gegen ihr Kostüm anspielen: Meentje Nielsen hat der Roma-Mutter einen langen Rock über die bunten Hosen gestülpt, dem Juden ein Käppi auf den Kopf gesetzt, dem Polen ein Kreuz um den Hals gehängt und so weiter.

Eva Weißenborn als Russin ist eigentlich die einzige, die ihr Asylbewerberinnen-Schicksal zu einer Persönlichkeitsstudie vertieft. Sowohl gegen die anderen als auch gegenüber ihrem deutschtümelnden, pseudointellektuellen Mann (Horst Lebinsky) zeigt sie eine verhärmte Distinguiertheit, die sich schon in ihren kleinen, harten Schritten äußert – sie leidet nicht nur unter den Verhältnissen, sondern verzweifelt am Leben.

Ansonsten sieht man nur Nahe- und Nächstliegendes. Und Schlimmeres: Bevor die Nachricht vom Tod der Sozialarbeiterin die Kochgemeinschaft erreicht, hat man es dort bereits zu einer Art aggressiven Fröhlichkeit gebracht und zu feiern begonnen. Die Jüdin singt innig, die Kroatin improvisiert Madonnas „Material world“, der Pole brüllt und trinkt erst mit dem Juden, schnappt sich dann die Roma- Tochter für eine wilde Polka und nötigt sie schließlich zu einer Art Flamenco auf dem Tisch. Was als Crescendo gemeint war, um die Todesmeldung dramaturgisch wirksamer einzubetten, ist ein Schuß nach hinten: Lustig ist das Zigeunerleben, nicht wahr?

Anna Langhoffs erstes Theaterstück hat den Mutwillen zum Zeitstück. Aber es hat weder die Souveränität im Thema noch die Sprache, läßt Tiefenschärfe gänzlich vermissen und bekommt am Deutschen Theater noch zusätzliche Fallen gestellt. Hier werden schweißtriefend Außenansichten der Wirklichkeit nachgespielt, als wäre man bei „Aktenzeichen XY ungelöst“. Warum nur?

Deutsches Theater Berlin: „Gedeckte Tische“ von Anna Langhoff. Regie: Sewan Latchinian, Ausstattung: Meentje Nielsen. Mit Thomas Bading, Uwe Dag Berlin, Else Grube-Deister, u.a. Nächste Vorstellungen am 4., 10., 24., 25.2.

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