Unterm Strich

Wälzt Sie auch des nachts die Frage, warum das Berliner Stadtschloß damals gesprengt werden mußte, um und um? Vielleicht ist es da hilfreich, zu erfahren, daß weder blinder sozalistischer Hohenzollernhaß noch individuelle Politbüro-Herrscherhybris, noch sonstwelche niederen Motive dafür verantwortlich zu machen sind. Wenn dem Historiker und Stadtforscher Laurenz Demps zu glauben ist, wurde das Schloß aus „rein pragmatischen Gründen“ abgerissen: Es sollte Platz gewonnen werden für einen „riesigen Aufmarschplatz“, der in seinen geplanten Dimensionen mit 180 mal 450 Metern (= 82.000 qm) selbst den größten realsozialistischen Bruderplatz, den Roten Platz in Moskau mit seinen 120 mal 400 Metern (= gerade mal 50.000 qm), abschlagen sollte. Demps stützt sich bei dieser Einschätzung auf ein jetzt in den Parteiarchiven entdecktes und von ihm veröffentlichtes Protokoll einer SED-Politbürositzung vom 15. August 1950, in dem der Abriß abgesegnet worden war (mit von der Partie: Ulbricht, Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl sowie, als „Kandidat des Politbüros“, Erich Honecker). „Bei einer Dauer der Demonstration von fünf Stunden“, heißt es darin, könnten „800.000 Menschen an der Tribüne vorbeimarschieren.“ Bei sogenannten „Standdemonstrationen“ käme man immerhin auf 330.000. „Masse“ taucht in dem Protokoll jeweils als amorpher Stoff auf, der erst durch die architektonisch-geographische stadtplanerische Führung seine Form erhält: „Die schnelle Füllung des Platzes ist durch die Zuführung von allen Seiten gewährleistet.“ Wenig sagt die Studie darüber aus, warum die Pläne von 1950 in der Form dann doch nicht umgesetzt wurden, aber man kann sich's ja denken.

Was aber sagt uns vor diesem Hintergrund die Nachricht, daß in der „umstrittenen“ honigkuchengelben Kunststoff-Stadtschloßattrappe, die seit Monaten schon neben dem Palast der Republik in Berlin- Mitte steht, Einar Schleefs „Faust“-Inszenierung (die am abgewickelten Schiller Theater nicht mehr zum Zuge kam) stattfinden soll? Die Open-Air-Veranstaltungen im künstlichen Schloßhof sind für Mai und Juni geplant. „Im Innenhof mit seinen Gerüsten sind etwa 600 Zuschauerplätze auf Tribünen vorgesehen“, meldet dpa.

Krumme Geburtstage: Die einen feiern in aller Stille (pssst, zum Beispiel demnächst die taz), die andern fahren's ganz groß – der Musikverlag Breitkopf & Härtel (Wiesbaden/Leipzig/Paris) zum Beispiel, der als „ältester Musikverlag der Welt“ gilt (allerdings nur „nach eigenen Angaben“). Am vorgestrigen Donnerstag knallten im masurischen Leipzig die Sektkorken. Mit der Entscheidung, ausgerechnet in Leipzig anzustoßen, unsterstreicht der Verlag dpa zufolge „seine enge emotionale Bindung an die traditionsreiche Musikmetropole mit ihren namhaften Klangkörpern und der weltbekannten Musikhochschule“.