■ Das Portrait
: Georges Marchais

„In 60 Jahren hatten wir nur drei Generalsekretäre, wie sollen wir da Übung im Wählen haben?“ Die Frage eines kommunistischen Parlamentariers war ernst gemeint. Bis gestern erfuhren die immer noch knapp 600.000 GenossInnen der französischen KP nicht einmal, wer bei der heutigen Wahl für die Parteispitze überhaupt kandidiert. Der einzige, der alles wußte, aber nichts sagte, war der scheidende Chef: Georges Marchais.

Fast ein Vierteljahrhundert lang war der gelernte Metallarbeiter mit dem singenden Französisch unumstrittene Nummer eins der Partei – de fakto lenkte er sie seit 1970, als sein Vorgänger Waldeck Rochet bereits krank war, formal ab 1972. In seiner Ära stiegen die Mitgliederzahlen um 150.000 und sanken die WählerInnenanteile von von 22 Prozent (1972) auf 9,18 Prozent (1993). Unter seiner Ägide kam in den 70er Jahren das „Linksbündnis“ mit der Sozialistischen Partei und die Regierungsbeteiligung der KPF Anfang der 80er Jahre zustande. Doch schon 1977, als das Bündnis zerbrach und eine geschwächte KPF hinterließ, begann Marchais' Stern zu sinken. Sein schlechtes Abschneiden bei den Präsidentschaftswahlen von 1981 (15 Prozent) und das schmähliche Ausscheiden der drei kommunistischen Minister aus der Regierung (1984) schwächten seine Position weiter.

Geheimnisumwittert ist Marchais' Rolle während des Faschismus. Fest steht, daß er im Krieg in Deutschland bei dem Rüstungsproduzenten Messerschmitt gearbeitet hat. Ob „zwangsverpflichtet“, wie er selbst sagt, oder „freiwillig“, wie viele andere meinen, liegt im Dunkeln. Sicher ist nur, daß der langjährige Chef der „Partei der Fusilierten“, die stolz auf ihre Résistance-Vergangenheit verweist, nie am Widerstand gegen die Nazis in Frankreich beteiligt war.

Bleibt ein Militanter Foto: AP

Marchais polternde Sprache, seine notorischen Wutanfälle und sein joviales Auftreten unterscheiden ihn von allen anderen französischen SpitzenpolitikerInnen, die ihren Schliff in den Eliteschulen des Landes bekommen haben. Marchais machte nie einen Hehl aus seiner proletarischen Herkunft.

Ob Marchais die Macht in der KPF tatsächlich abgeben oder hinter den Kulissen weiter agieren wird, behält er für sich. Gesagt hat er nur: „Ich bleibe ein Militanter. Wenn die Partei mich braucht, bin ich da.“ Dorothea Hahn