Referendum und Terror

■ Guatemalas Bevölkerung soll abstimmen – und hat davon gar nichts

Managua (taz) – Am Sonntag sollen die Guatemalteken über 43 Vorschläge zur Reform der Verfassung abstimmen. Und obwohl sich Umfragen zufolge kaum 40 Prozent der Bevölkerung beteiligen werden, versuchen extremistische Gruppen ein Klima des Terrors zu schaffen. Vor wenigen Tagen explodierte eine Bombe vor dem Parlamentsgebäude. Letzte Woche warfen Unbekannte eine Granate auf eine Bushaltestelle – ein Mensch wurde getötet und zehn weitere verletzt.

Anlaß und Herzstück der Verfassungsreform ist die Verkürzung der Legislaturperiode, damit noch in diesem Jahr Neuwahlen zum Parlament ausgeschrieben werden können. Denn die seit acht Monaten währende Parlamentskrise macht dem Präsidenten Ramiro de León das Regieren unmöglich.

Die offene Korruption im Hohen Haus war für Präsident Jorge Serrano am 25. Mai des vergangenen Jahres Vorwand genug für einen Putsch gegen die anderen Staatsgewalten. Nach einer Woche absolutistischer Herrschaft mußte Serrano sich dem Druck der Zivilgesellschaft beugen und floh ins Ausland. Der allseits respektierte Menschenrechtsombudsmann Ramiro de León Carpio wurde in einem historisch einmaligen nationalen Konsens vorgeschlagen und kurz darauf vom Parlament zum neuen Staatschef gewählt. Gleichzeitig mußten die Abgeordneten zähneknirschend einen Teil der Schuld an der Krise auf sich nehmen. Von einer „Säuberung“ des Parlaments von korrupten Elementen war die Rede.

Das Spektakel um die „Purifizierung“ der Legislative füllte monatelang die Zeitungen – und verdrängte die tieferen Probleme des Landes, wie Entmilitarisierung, Armutsbekämpfung und politische Strukturreform. Sollten die korrupten Abgeordneten einen leeren Sitz hinterlassen oder durch ihre Stellvertreter ersetzt werden? Wer hat die Autorität, Schuld zuzuweisen, wenn einer nicht zurücktreten will? Soll das Parlament bei der Gelegenheit von 116 auf 100 Abgeordnete verkleinert werden? Während diese Fragen, untermalt von Faustkämpfen auf dem Podium, Todesdrohungen gegen Parlamentarier und Protesten der Bevölkerung, wochenlang breitgetreten wurden, riß dem Präsidenten der Geduldsfaden. Um dem unwürdigen Spuk ein Ende zu machen, kündigte er eine Volksbefragung an, die das Parlament absetzen, eben „säubern“ sollte.

Damit kam er nicht durch, und so mußte nicht nur der anfangs geplante Termin vom 28. November auf den 30. Januar verschoben werden, auch die Fragestellung veränderte sich. Als Kompromiß zwischen Exekutive und Legislative entstand die nun geplante Verfassungsreform; der große Unterschied: Die Parlamentarier treten zum Ende der dann verkürzten Legislaturperiode ehrenhaft ab und dürfen alle wiedergewählt werden.

Drei Wochen vor dem Stichtag wußten 95 Prozent der Wähler nicht einmal, worum es ging. Die Gewerkschaften, Volksbewegungen und Menschenrechtsgruppen riefen zur Stimmenthaltung auf, weil das Projekt das politische System rette, statt es grundlegend zu reformieren. Die Beteiligung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen an der Legislative, wie sie nach dem Sturz Serranos kurz möglich schien, ist vom Tisch.

Beobachter schreiben die Anschläge der vergangenen Tage dem konservativen Teil des Militärs zu. Seit sich mit dem Amtsantritt de Leóns die Modernisierer in den Streitkräften durchgesetzt haben, denen das Aufrechterhalten der demokratischen Fassade einiges wert ist, kämpfen die Hardliner um ihren Einfluß. Und denen ist selbst das umstrittene Referendum schon zuviel. Ralf Leonhard