: Keine Russen durchs Brandenburger Tor
Der Berliner Senat will die Alliierten getrennt verabschieden und damit seine Sicht der Frontstadthistorie nochmals zur Geltung bringen / Helmut Kohl will Boris Jelzin treffen – aber wo? ■ Aus Berlin Dieter Rulff
Die Runde der Berliner Bezirksbürgermeister hatte, als sie Ende vergangenen Jahres zu einer ihrer periodischen Sitzungen zusammenkam, schon länger mit dem gebotenen Ernst über die rechte Art des Feierns beraten. Da kam Dr. Gottfried Mucha auf den Hund. Das Problem der sich selbst überlassenen Haustiere, so klagte der Lichtenberger Bürgermeister, belaste das Verhältnis seiner Mitbürger zu den Angehörigen der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte (WTG) und mache deren angemessene Verabschiedung problematisch. Sein Zehlendorfer Kollege Ulrich Menzel zeigte sich hingegen irritiert, daß bis zur Abschlußveranstaltung im September alle amerikanischen Truppen bereits abgezogen sein werden.
Die tierische Hinterlassenschaft der russischen und die fehlende Präsenz der amerikanischen Truppen sind nicht das gravierendste Problem, das die Berliner hindert, den Abzug der alliierten Truppen angemessen zu begehen. Die rechte Art des Feiern ist zum Politikum geworden, seit der Senat am 24. November sein Verständnis davon, „das vom Bund und von den Alliierten geteilt wird“, zu Protokoll gab. Danach wird „es keine gemeinsame Verabschiedung von WTG und Alliierten geben, sondern eine abgestufte, und zwar sowohl zeitlich als auch hinsichtlich der Symbolik“.
Entsprechend dieser Abstufung soll der WTG-Abzug „in Ehre und Würde“ am 3. August mit einem Gedenkzeremoniell an den sowjetischen Ehrenmälern unter Beteiligung der Außen- und Verteidigungsminister beider Länder begangen werden. Die westlichen Alliierten hingegen will man am 10. September mit einer großen Feier im Olympiastadion verabschieden. Zuvor soll ihnen und der Bundeswehr ermöglicht werden, was ihnen 45 Jahre lang versagt blieb: eine Parade durch das Brandenburger Tor bis Unter den Linden. Die Russen werden zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrer Heimat weilen, denn bei ihrem letzten Gespräch haben Bundeskanzler Helmut Kohl und der russische Präsident Boris Jelzin vereinbart, daß das im Zwei-plus-vier-Vertrag festgelegte Abzugsdatum auf den 31. August vorverlegt wird.
Für den Oberkommandierenden der WTG, Generaloberst Matwej Burlakow, ist der vorfristige Termin allerdings kein Grund, getrennte Feiern anzuberaumen. Mitte der Woche beklagte er, daß die deutsche Seite verhindert habe, daß dieser „wichtige Akt auf staatlicher Ebene“ durch eine gemeinsame Parade mit den anderen ausländischen Truppen begangen werde.
Der Senat macht für diese abgestufte Verabschiedung vor allem historische Unterschiede geltend. Jeder müsse verstehen, so erläuterte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen am Donnerstag vor dem Abgeordnetenhaus, „daß sich in den letzten 45 Jahren unser Verhältnis zu unseren westalliierten Schutzmächten anders entwickelt hat als zu den Nachfolgeorganisationen der Roten Armee“. Zu letzterer fallen ihm und den seinen vor allem die Berlin-Blockade, der 17. Juni 1953 und das Chruschtschow-Ultimatum ein, allemal Gründe, nur die ersteren als Besatzungsmächte zu feiern, „bevor sie zu Schutzmächten und schließlich zu Freunden wurden“. Die mitregierenden Sozialdemokraten und das Bündnis 90/Grüne teilen zwar die historische Sicht, wollen aber einen Affront vermeiden. Deshalb betonen sie, daß die deutsche Einheit ohne die damalige Sowjetunion möglicherweise gar nicht realisierbar gewesen wäre und warnen davor, die GUS-Staaten aus der zivilen Verabschiedung auszuklammern. Mit Bezirksfesten und familiären Einladungen will man nun auch den ehemaligen Rotarmisten freundschaftliche Verbundenheit signalisieren. Zur offiziellen Danksagung reist Diepgen allerdings nur in die westlichen Hauptstädte, Moskau liegt nicht auf seiner Route.
Diepgens Sprecher, Michael- Andreas Butz, weiß den Senat bei diesem Vorgehen im Einklang mit dem Bundeskanzler. Helmut Kohl habe die unterschiedliche Behandlung mit Boris Jelzin abgesprochen. Die beiden haben allerdings nur den vorfristigen Truppenabzug vereinbart. Über die Art der Feierlichkeiten, so verlautete gestern aus dem Kanzleramt, sei noch keine Entscheidung gefallen. Dies werde auch zwischen dem Kanzler und Jelzin entschieden, nicht aber im Berliner Senat.
Den Kanzler plagen einstweilen noch andere Statusprobleme. Es sei sein Wunsch, an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Dabei will er auch mit Jelzin zusammentreffen. Allerdings wurde noch kein ihm genehmer Ort gefunden, an dem die beiden Staatschefs das Ende der sowjetischen Präsenz angemessen begehen könnten. Derweil der Kanzler noch den rechten Standort sucht, kämpft der Senat mit der Neigung der Westalliierten, gleichfalls vorzeitig das Feld zu räumen. Wegen der in Aussicht genommenen Abschiedsparade am 9. oder 10. September, so befand die Landesregierung am Dienstag, „bleiben von jeder Schutzmacht mindestens 500 Soldaten und eine Kapelle in Berlin“.
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