Massive Lohnsenkungen kosten Arbeitsplätze

■ Heiner Flassbeck ist Konjunkturforscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) / Sein Rezept: Zwei Prozent mehr Lohn – aber keine große Arbeitszeitverkürzung

taz: Herr Flassbeck, die Metallarbeitgeber wollen bei der diesjährigen Tarifrunde Lohnsenkungen durchsetzen, weil angesichts der Kostenbelastung nur so der weitere Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern sei. Haben die Unternehmer Recht?

Heiner Flassbeck: Nun, das ist im Moment schwer zu beurteilen, weil die Unternehmer selbst nicht genau wissen, was ihre Kosten sind. Tatsächlich hängen die Kosten maßgeblich von der konjunkturellen Entwicklung ab. Wenn die Konjunktur relativ bald anzöge, würden die Kosten schnell ganz massiv sinken, weil dann die erheblichen Rationalisierungsanstrengungen aus dem vergangen Jahr zum tragen kämen.

Gefordert wird von den Arbeitgebern zusätzlich eine Flexibilisierung des Flächentarifvertrages.

Vom Prinzip her sollte man in Deutschland nicht von dem Flächentarifvertrag abgehen. Der hat im Hinblick auf die dynamische Entwicklung einer Volkswirtschaft ungeheure Vorteile. Ein Flächentarifvertrag zwingt die Unternehmen zur Innovation und zu Produktivitätsverbesserungen. Wenn wir dazu kommen, daß jeder Betriebsleiter, der einen kaufmännischen Fehler macht, sofort mit seinem Betriebsrat über die Senkung der Löhne verhandeln kann, dann werden wir eine Wirtschaft bekommen, die insgesamt weit weniger effizient und erfolgreich sein wird als heute.

Inwieweit wird der Metalltarifabschluß auf das Problem der Massenarbeitslosigkeit wirken?

Es ist eine Illusion, zu glauben, man könne die Arbeitslosen in Deutschland durch massive Lohnsenkungen wieder in Arbeit bekommen. Das Gegenteil ist richtig. Wir werden den offensiven Weg wählen und dafür sorgen müssen, daß die Dynamik der Wirtschaft wieder größer wird. Das geht nur über eine kräftige Ausweitung der Investitionstätigkeit. Dafür sind moderate Abschlüsse sicher wichtig, aber keine Null- oder sogar Minusrunden. Wenn wir moderate Abschlüsse um zwei Prozent bekommen, dann haben wir von der Kostenseite her das Vernünftige getan. Denn es wird dann von dieser Seite aus in Deutschland keinerlei Inflationsgefahr mehr geben. In einer solchen Situation muß die Geldpolitik eine größere Rolle spielen und die Zinsen massiv senken. Die Folge wäre ein Investitionsaufschwung, der sehr rasch die Kosten in den Betrieben reduzierte.

Der Sockel an Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahrzehnten auch während der Aufschwungphasen deutlich angestiegen. Daran wird eine andere Geldpolitik kaum etwas ändern können.

Sie ist Voraussetzung für eine nachhaltige Verbesserung der Situation. Die Entwicklung am Ende der 80er Jahre bis hin zum Beginn der 90er hat gezeigt, daß hohe positive Beschäftigungseffekte in relativ kurzer Zeit möglich sind. In den vergangenen 15 Jahren wurde aber in den westlichen Industrieländern eine massive Antiinflationspolitik betrieben – wie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg. Das geht nur um den Preis einer verminderten Dynamik auf dem Arbeitsmarkt. Nun sind die Inflationsraten sehr niedrig, und ich bin sicher, daß es jetzt zu einer Neuorientierung der Wirtschaftspolitik hin zu mehr Beschäftigung kommen wird. Ob die Arbeitslosigkeit während der Aufschwungphase bis zu einem Zustand der Vollbeschäftigung abgebaut werden kann, ist derzeit weitgehend offen.

Wenn dies der normalen Wirtschaftspolitik allerdings nicht gelingt, dann muß man, etwa über weitere Arbeitszeitverkürzungen, dafür sorgen, daß nicht immer nur eine bestimmte Gruppe die Lasten zu tragen hat.

Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich?

Es gibt keine Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnausgleich. Der Lohnausgleich ist eine Illusion. Die Gewerkschaften haben davon geredet, um die Arbeitszeitverkürzung den Arbeitnehmern schmackhaft zu machen. Im Prinzip hat es aber auch in den 80er Jahren niemals einen Lohnausgleich, sondern immer nur eine andere Verteilung des Produktivitätszuwachses gegeben. Auf sonst mögliche Lohnzuwächse wurde zugunsten von Arbeitszeitverkürzung verzichtet. Daß dabei die Monatslöhne gleich geblieben sind, haben die Gewerkschaften Lohnausgleich genannt. Ohne Arbeitszeitverkürzung wären die Löhne aber natürlich stärker gestiegen.

Das Beispiel VW hat jetzt aber eine neue Runde eröffnet. Auch eine neue Perspektive?

Diese neue Stufe der Arbeitszeitverkürzung ist in der gegenwärtigen Situation nicht unproblematisch. Würde man diesen Weg gesamtwirtschaftlich beschreiten, käme es zu erheblichen Nachfrageausfällen, und das wäre Gift für die konjunkturelle Situation.

Der Kölner Ökonom Fritz Scharpf plädiert für einen zweiten, unter Tarif entlohnten Arbeitsmarkt und hält hier eine begrenzte Lohnsubventionierung für angebracht.

Der zweite Arbeitsmarkt ist immer eine schwache Notlösung. Ich bin relativ optimistisch, daß durch eine beschäftigungspolitisch ausgerichtete Wirtschaftspolitik ein so großer Zugewinn an Arbeitsplätzen möglich wird, daß Maßnahmen im zweiten Arbeitsmarkt nicht an die Stelle der Beschäftigungspolitik treten müssen. Interview: Walter Jakobs