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Tariert und pathosfrei

■ Premiere von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ im Schauspielhaus

Im „Faust“ ein Teufel, im „Käthchen“ ein Engel, Siggi Schwientek ist am Schauspielhaus der Mann für die Religions-Satire. Wie er stumm kommentierend und mit rührenden Gesten das „Göttliche“ in Kleists Hit-Drama auf den Boden holt (nachdem er zu Beginn mit einem Fallschirm darniedergesegelt ist), das ist schon eine Schau. Im weißen Hemd mit kleinen Flügelchen, Fusselbart und Triefauge paßt er sich selig ein in das moderne Märchen, das Matthias Hartmann kunstvoll erzählt. Spannend, phantasiereich und mit feinem Humor, der jeden platten Brüller vermeidet, verjüngt Hartmann Kleists skurrile Liebes-Geschichte zwischen Friedrich Wetter, Graf vom Strahl, und Katharina Friedeborn, der Tochter des Waffenschmieds Theobald, die, nachdem Siggi Schwientek sie im Traum zusammengeführt hat, so große Schwierigkeiten haben, endlich zueinanderzufinden.

Mit einem sicheren inneren Detektor für verbrauchtes bürgerliches Pathos durchkämmt er das Ritterschauspiel und wendet alle Stellen ins ironische, die ernst genommen konservativen Bildungsstaub verhustet hätten. Große Liebes- und Sehnsuchtsgesten führt er mit näselnder Geziertheit zum Schmunzeln, Liebespoesie verliert durch larmoyanten Ton ihren verfrackten Muff und Heldisches, wie Käthchens Gang ins Feuer, wirkt in allem Getöse leicht und souverän. Dort aber, wo das Martialische sich eigentlich nicht abwenden ließe, in den Schlacht- und Hofszenen, überrascht er mit einem Sondereinfall, der gleichzeitig bannt und begeistert: Dann erhebt sich aus dem Boden ein bühnenbreites Marionetten-Theater und das putzige Spiel erweist sich gleichzeitig als Position zu Macht und männlicher Gewalt, wie zum Theater als Spielraum, dem patriarchale Gesten nicht gut tun. Momme Röhrbeins Bühnenbild aus fliehenden Wolken, einer schrägen Ebene aus Schwemmsand und Aufzug-fahrenden Bäumen, Bergen und Wänden führt diese ironische Ebene fort, ohne sich engherzig großen Bildern zu verschließen.

Daß diese souveräne Leichtigkeit zu mehr als froher Maske taugt, beweist das Ensemble, das bei allem Schwung dieselbe dezente Perfektion transportiert. Bernhard Schütz, der Graf vom Strahl, entwickelt den dynamischen Verlauf vom blasierten Snob zum verlegenen Stammler, der beim lang ersehnten Kuß in Ohnmacht fällt, mit derselben Bravour mit der Anne Weber die unbeirrt Liebende in weicher Leidenschaft zeigt. Ilse Ritter, die in dem neuen Ensemble am Schauspielhaus zu alten Qualitäten zurückfindet, weiß die Rolle des weiblichen „Terminators“ Kunigunde von Thurneck mit Haß und Falschheit aber eben auch mit dem Beleg zu spielen, daß auch Teufel in ihrem Verlangen verletzlich sind.

So gelingt Hartmann die Transformation zum günstigsten Fall: Sein Käthchen ist kurzweilig, heutig und ästhetisch. Er vermeidet zu großen Ernst und platte Albernheit und löst Kleists magische Schicksalsknoten spielerisch. Das Premierenpublikum am Freitag dankte es ihm bereits.

Till Briegleb

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