Kein Tribunal?

■ Diskussion über das "Emma"-Islam-Dossier ohne Alice & Co

Ist eine neue Anti-Emma-Kampagne im Gange? Das vermutet jedenfalls die Redaktion von Europas größter feministischer Zeitung, die sich in den vergangenen Monaten wegen ihres Islam-Dossiers vehementer Kritik ausgesetzt sah. Eurozentrismus, Rassismus und sogar die Verbreitung von Nazi- Propaganda – das sind Vorwürfe, die um so schwerer wiegen, als sie von Feministinnen und Linken vorgebracht wurden. „Absurd“, meinten die Emmas und blieben einer Diskussion mit ihren KritikerInnen fern.

Bis zuletzt hatten die VeranstalterInnen der Heinrich-Böll-Stiftung und des von ihr getragenen Projekts „Mediawatch“ versucht, Alice Schwarzer für „ein Gespräch – kein Tribunal“ zu gewinnen. Doch die Emma-Herausgeberin ließ absagen, weil „wir vor dem Hintergrund der Publikationsflut gerade auch in ihrem politischen Spektrum davon ausgehen, daß an einer kritisch-solidarischen Auseinandersetzung kein Interesse besteht“.

So blieb es den Orientalistinnen, Soziologinnen und Journalistinnen auf dem Podium sowie den rund 150 BesucherInnen überlassen, die Vorwürfe gegen das 22seitige Islam-Dossier in der Emma vom Juli/August 1993 zu diskutieren und sich mit der Rechtfertigung in der jüngsten Ausgabe auseinanderzusetzen. Dort wehren sich die Emma-Frauen dagegen, Sexismus wieder zu einem „Nebenwiderspruch“ zu machen und dem „Hauptwiderspruch“ Rassismus unterzuordnen.

Daß Sexismus-Kritik ihre Berechtigung hat – auch von seiten privilegierter deutscher Frauen gegenüber nichtprivilegierten Männern aus der Dritten Welt – ist in der Feministinnen-Gemeinde Konsens. Allerdings leiste „das Magazin von Frauen für Menschen“ im Eintreten gegen den Sexismus dem Rassismus Vorschub, meinten unisono die Emma-Kritikerinnen und die Initiative „Mediawatch“. In einigen Beiträgen sei undifferenziert von „dem Islam“ die Rede, der wiederum mit Fundamentalismus gleichgesetzt werde. Dieser wiederum werde „als orientalische Variante des Faschismus“ und als „Männersache“ bezeichnet. Werden die in Deutschland lebenden Muslime und Musliminnen dann noch als „fünfte Kolonne“ des islamischen Fundamentalismus „entlarvt“, sei das neue Feindbild Islam komplett.

Die Tübinger Religionssoziologin Renate Kreile vermißte bei Emma die Umsetzung von Alice Schwarzers selbstgestellter Forderung, es müsse selbstverständlich werden, „daß eine jede von uns jederzeit und überall gegen Rassismus einschreitet“. Woran liegt es dann aber, daß Emma gegen Frauen gerichtete Unterdrückungsverhältnisse sensibel wahrnimmt, gleichzeitig aber rassistischen Stereotypen erliegt? Die einfache Polarisierung – Männer gleich Täter, Frauen gleich Opfer – lasse eine differenzierte Betrachtung gar nicht zu, meinte Kreile. Die Beteiligung von Frauen an Unterdrückung und Rassismus werde „übersehen, geleugnet oder schlichtweg definitorisch ausgeklammert“. Diese Negierung erklärte die Orientalistin Chérifa Magdi mit dem „strukturellen Rassismus in dieser Gesellschaft“, an dem auch Frauen – selbst die von Emma – Anteil hätten.

Renate Kreile fordert die deutschen Frauen dazu auf, „fremdkulturelles Verhalten“ erst einmal verstehen zu lernen. Das Tragen eines Tschadors oder Kopftuchs könne nicht von vornherein als Zeichen der Unterdrückung interpretiert werden. WDR- Rundfunkratsmitglied Arzu Toker, auf dem Titelbild der inkriminierten Emma-Ausgabe als „emanzipierte“ Türkin abgebildet, meinte hingegen, das Kopftuch werde den Frauen von Fundamentalisten „auf den Kopf genagelt“. Der Zufall wollte es, daß in der ersten Reihe vier „verhüllte“ Musliminnen saßen, die sich vehement dagegen wehrten, aufgrund ihres Kopftuches „abgestempelt“ zu werden.

Chérifa Magdi, eine der Autorinnen des Islam-Dossiers, verwies darauf, daß der Islamismus als eine politische Bewegung religiöse Symbole – so auch die Verhüllung der Frau – für sich nutze. Die Fundamentalisten wollten alle Errungenschaften, die sich die Frauen in den vergangenen 100 Jahren erkämpft hätten, revidieren.

Die heftig kritisierte optische Aufmachung des Islam-Dossiers (so zum Beispiel ein anderthalbseitiges Foto, das „muslimische Männer in Deutschland“ vor der riesigen Blutlache von geschächteten Schafen zeigt) wird mittlerweile auch von der Emma-Redaktion als Fehler eingesehen. „Zu unvermittelt und unnötig polemisch finden auch wir inzwischen die Fotos und ihre Polarisierung zwischen fundamentalistischem ,Männlichkeitswahn‘ und fundamentalistischem ,Frauenlos‘“, erklärten sie in ihrem Januar-Heft.

Bleibt zu hoffen, daß die Emmas zu ihrer früheren Haltung – „Wir finden die Einrichtung der Medienkritik (gemeint ist wohl die Initiative Mediawatch) ausgezeichnet“ – zurückfinden und sich bald wieder gesprächsbereit zeigen. Markus Dufner