■ Spätes Nachspiel des skandalösen „Schmücker-Verfahrens“
: Ein meineidiger Staatsanwalt?

Das „Schmücker-Verfahren“ war mit 591 Verhandlungstagen und einer Dauer von fünfzehn Jahren nicht nur der längste Prozeß der bundesdeutschen Justizgeschichte, sondern auch einer der skandalösesten. Statt den im Juni 1974 an dem Berliner Studenten Ulrich Schmücker von seinen anarchistischen Genossen begangenen Mord aufzuklären, gelang es der Staatsanwaltschaft, über Jahre hinweg die Verwicklung des Westberliner Verfassungsschutzes in die Bluttat zu verdunkeln und zu verschleiern. Erst zehn Jahre nach der Liquidierung Schmückers, der als IM für die Westberliner Stasi tätig war, konnte ein Journalist nachweisen, daß der Verfassungsschutz mit Wissen des Staatsanwalts Hans-Jürgen Przytarski die Tatwaffe nicht dem Gericht übergeben, sondern im hauseigenen Tresor versteckt hatte.

Schon bei der Einstellung des Verfahrens im Januar 1991 hatte das Gericht die Tätigkeit des CDU- Mitglieds Przytarski hart kritisiert und ihm rechtswidrige Vernehmungsmethoden vorgeworfen. Auch die Einschleusung eines V-Mannes in die Kanzlei des Anwalts, der den Hauptangeklagten vertrat, wurde als „in bisher nicht bekanntem Maße praktizierte Ausspähung der Verteidigung“ moniert. „Über Jahre hinweg“, so das Fazit der 18. Großen Strafkammer in ihrem Einstellungsbeschluß, „haben zwei Verfahren stattgefunden: eines im Gerichtssaal und eines hinter den Kulissen, gegen das sich die Angeklagten gar nicht wehren konnten, weil sie davon keine Kenntnis hatten.“

Knapp zwanzig Jahre nach dem Mord an Ulrich Schmücker hat nun die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage gegen Hans-Jürgen Przytarski erhoben, ihm wird dreifacher Meineid vorgeworfen. Er soll in der vierten und letzten Runde, die mit der Einstellung endete, vor Gericht gelogen haben. Für Meineid ist eine Freiheitsstrafe „nicht unter einem Jahr“ vorgesehen. Przytarski, der für seine illegalen Machenschaften zunächst mit der Beförderung zum zweiten Mann des Verfassungsschutzes belohnt wurde, ist derzeit als Leiter des Landesverwaltungsamtes beim Berliner Innensenat in Amt und Würden. Sollte sich der Vorwurf des Meineids als wahr erweisen, wofür vieles spricht, wäre dies ebenfalls ein einmaliger Skandal der bundesrepublikanischen Justizgeschichte.

Vor dem Hintergrund des selbstgefälligen Eifers mit dem die westdeutsche Justiz derzeit ehemalige DDR-Juristen wegen Rechtsbeugung und anderen Straftaten im Amt verfolgt, wäre dann die ebenso zügige wie endgültige Entfernung Przytarskis aus dem Staatsdienst eine Selbstverständlichkeit. Michael Sontheimer