■ Die NRW-Grünen hielten ihren Landesparteitag ab
: Zur Wende entschlossen

Der Opportunismus gegenüber der eigenen Klientel erdrückt nicht nur die Altparteien, auch bei den Grünen grassiert diese Krankheit. Doch ist auch der größte in Parteiprogrammen gegossene Unsinn im politischen Alltagsgeschäft zu heilen, wenn die handelnden Personen sich dem Prinzip Verantwortung verpflichtet fühlen. Der Personalauswahl kommt deshalb auch bei den Grünen eine größere Bedeutung zu. Auf diesem Wege werden die Weichen neu gestellt. Genau dies hat am Wochenende in NRW der größte traditionell linke grüne Landesverband getan, der so viele innergrüne organisatorische wie inhaltliche Reformen mit seiner Stimmenmacht jahrelang bundesweit zu torpedieren wußte.

Von Aachen geht ein Hoffnungssignal aus, weil die grüne Personalauswahl bei der Aufstellung der Landesreserveliste für den nächsten Bundestag den tatsächlichen Willen zur politischen Wende signalisiert. Ob es dazu im Zusammenspiel mit der SPD bei einem entsprechenden Wahlergebnis letztendlich kommt, steht dahin. Soviel ist aber sicher: Der großen Mehrheit der zukünftigen NRW-Bundestagsabgeordneten kann man zutrauen, darüber eine rationale, kluge Entscheidung zu treffen.

Was bleibt, ist das programmatische Elend in der bündnisgrünen Partei. Joschka Fischers 51 %-Provokation, also die Forderung, das eigene Wahlprogramm an der Umsetzbarkeit im Falle einer theoretisch unterstellten absoluten bündnisgrünen Mehrheit zu messen, stieß auch in Aachen auf reflexartigen Widerspruch. Der als Kandidat unterlegene Wortführer der Linken, Roland Appel, warnte vor einer grünen Volkspartei: „Wir dürfen keine 51 %-Politik machen“. Als ob es darum ginge.

Es geht nicht um vorauseilenden Gehorsam gegenüber einem künftigen Koalitionspartner, sondern schlicht um die Sinnhaftigkeit grüner Forderungen. Und selbstredend ist nicht alles, was sich umsetzen läßt, auch politisch sinnvoll. Der Parteibeschluß etwa, jegliche militärische Interventionen abzulehnen, ist gewiß eine im deutschen Volk mehrheitsfähige Position. Pflicht der Grünen wäre es dennoch gewesen dagegenzuhalten, weil der Beschluß internationale Verantwortungslosigkeit dokumentiert und eine verhängnisvolle Botschaft transportiert. Daß man darüber in einem Land, das nur durch militärische Intervention daran gehindert werden konnte, die ganze Welt mit einem faschistischen Terrorregime zu überziehen, überhaupt ein Wort verlieren muß, zeugt von einer kruden Geistesverwirrung – leider auch bei den Grünen. Grüner Programmpolitik kommt eben nicht die Aufgabe zu, Forderungen mehr oder weniger radikal zu formulieren, sondern es geht darum, das Richtige vom Falschen zu trennen. Im Zweifelsfall gegen die satte, denkfaule Mehrheit der Gesellschaft ebenso wie gegen die eigene Klientel. Walter Jakobs