„Luftangriffe zur Selbstverteidigung“

■ Generalleutnant Francis Briquemont zur Situation der UNO-Truppen in Bosnien

Vor einer Woche übergab der belgische Generalleutnant Francis Briquemont das Oberkommando der UNO-Truppen in Bosnien- Herzegowina an den Briten Sir Michael Rose. Briquemont sollte eigentlich ein Jahr bleiben, doch bat er nach sechs Monaten um seine vorzeitige Entlassung.

taz: Sie haben wiederholt die unentschlossene Haltung der UNO im ehemaligen Jugoslawien kritisiert. War das der Grund für ihren Rückzug?

Francis Briquemont: Nein. Ein Jahr ist einfach zu lang für diesen Job. Man ist die ganze Zeit nur auf sich gestellt. Man diskutiert immer dieselben Fragen mit den politischen Führern, man diskutiert immer dieselben Fragen mit den militärischen Führern. Es ist immer und immer dasselbe, worüber geredet wird. Das ist vermutlich auch das Problem der Vermittler von EU und UNO, Stoltenberg und Owen, nach einer gewissen Zeit geht nichts mehr. Dazu kommen noch die Enttäuschungen, wie das vorläufige Scheitern der Genfer Verhandlungen im Herbst. Alles zusammen genommen, habe ich einfach gesehen, daß es nach sechs Monaten Zeit ist, das Kommando an einen anderen weiterzugeben.

Sie sind nicht der einzige, der geht. Die kanadischen Truppen werden sich aus Bosnien zurückziehen. Der belgische Verteidigungsminister denkt laut über ein Ende des Einsatzes seiner Truppen nach, in Frankreich und England wird ähnlich diskutiert. Verläßt die UNO Bosnien schrittweise?

So kann man das sehen. Wenn jede Regierung individuell ihre Truppen zurückzieht, weiß ich auch nicht, was der Sicherheitsrat der UNO machen wird. Die Kanadier hinterlassen in Zentralbosnien eine Lücke, die unter militärischen Gesichtspunkten sehr schwer wiegt. Ich glaube aber, daß die französischen und englischen Rückzugsdrohungen vielleicht ein letztes Druckmittel der internationalen Gemeinschaft auf die drei Kriegsparteien sind. Denn bisher ist es tatsächlich so, daß die Bosnier immer noch überrascht sind, wenn man ihnen sagt, daß die humanitäre Hilfe gestoppt wird, wenn sie weiter kämpfen. Vielleicht soll damit auch Druck auf den Sicherheitsrat ausgeübt werden.

Aber man kann auch den Eindruck gewinnen, daß die westlichen Politiker über ihr weiteres Vorgehen in den nächsten Monaten ratlos sind. Wenn die Regierungen ihre Bataillone tatsächlich zurückziehen, ist das das Ende der humanitären Aktionen. Ich sehe nicht, daß irgendein Land bereit wäre, in der jetzigen Situation zusätzliche Truppen nach Bosnien zu schicken.

Sie haben bereits im August die Überlegungen der UNO und einzelner Nato-Staaten, serbische Stellungen in Bosnien zu bombardieren, hart kritisiert. Trotzdem werden Sie immer wieder mit ihrer Forderung nach Luftangriffen zitiert.

Das ist ein Mißverständis, das mir hartnäckig hinterhergetragen wird. Das Konzept der Luftangriffe, so wie es uns präsentiert worden ist, kann von den Ländern, die in Bosnien Bodentruppen stationiert haben, unmöglich gebilligt werden.

Was wir wollten, war nichts anderes als die Luftunterstützung bei der Selbstverteidigung der Hilfstransporte. Wenn die Unterstützung aus der Luft so eingesetzt worden wäre, wie wir das vorgeschlagen haben, dann hätte es vermutlich keine Reaktionen gegeben. Am Boden schießen wir ja auch zurück, wir töten Heckenschützen, wir haben bei Schießereien schon, ich weiß nicht wie viele, Gegner getötet. Ich habe deshalb noch nie einen Vorwurf von den drei Kriegs-Generälen gehört. Selbstverteidigung wird auch in Bosnien akzeptiert.

Wenn heute jemand den Flughafen von Sarajevo beschießen würde, würde ich ohne Zögern anordnen zurückzuschießen und ich bin sicher, daß es keine ernsthaften Reaktionen geben würde. Wenn man dagegen plötzlich alle möglichen Stellungen bombardieren würde, hätten wir sofort den totalen Krieg.

Ist die UNO in Bosnien noch glaubwürdig?

Was die humanitäre Hilfe anbelangt, ist die UNO nach wie vor glaubwürdig. Solange das Überleben der Bevölkerung völlig von der humanitären Hilfe abhängt, solange bleiben die Helfer in jedem Fall glaubwürdig. Wenn wir eines Tages diese Hilfe nicht mehr aufrechterhalten können, dann werden wir die Glaubwürdigkeit verlieren.

Aber die UNO kann den Frieden offensichtlich nicht erzwingen. Was kann sie in Bosnien überhaupt erreichen?

Ich weiß nicht, ob die UNO den Frieden nicht erzwingen kann. Die Mitgliedsländer können vielleicht versuchen, den Frieden zu erzwingen. Man kann sicher nicht den Krieg beenden, wenn die Kriegsparteien weiterkämpfen wollen. Es ist nicht die Mission der UNO, die Kriegsparteien daran zu hindern. Aber einen größtmöglichen Druck zu machen, um ein Friedensabkommen zu erreichen, das ist möglich. Und zwar politischen Druck auf alle drei Seiten, ich warne vor einer primär antiserbischen Haltung.

Und man muß das im Augenblick auch klar sehen: Manche Bosnier werfen den UNO-Vermittlern vor, daß sie ihnen einen Frieden aufzwingen möchten, den sie nicht akzeptieren wollen. Wenn die Verhandlungen ohne Ergebnis bleiben, muß man, das wiederhole ich seit Tagen, im März den humanitären Auftrag der Vereinten Nationen neu überdenken. Interview: Alois Berger