Der Stehaufmann von Sachsen-Anhalt

■ Auf dem Sonderparteitag der FDP wurde Kunert erneut zum Landeschef gekürt

Halle (taz) – Noch im November mochte vom FDP-Chef Sachsen-Anhalts, Peter Kunert, niemand mehr ein Stück Brot nehmen. Als die CDU/FDP-Landesregierung unter Werner Münch wegen der Gehälteraffaire den Hut nehmen mußte, forderte er die Aufkündigung der Koalition und schnellstmögliche Neuwahlen. Aber die FDP-Landtagsabgeordneten zeigten ihm eine lange Nase und wählten nach einer Blut- und-Tränen-Rede von Konrad Breitenborn den CDU-Mann Christoph Bergner zum neuen Regierungschef. Kunert galt als Verlierer im parteiinternen Machtkampf. Jetzt ist der Stehaufmann wieder da. Auf einem Sonderparteitag wählte ihn die FDP am Samstag erneut zum Landeschef.

Einem Mißtrauensantrag gegen den Landesvorstand kam man am Morgen des Parteitages nur durch kollektiven Rücktritt zuvor. Die Redner ergriffen zwar in ausgewogener Parität Partei für den einen oder anderen Kandidaten. Die Fürsprecher von Kunerts Gegenkandidat, Umweltminister Wolfgang Rauls, blieben dabei aber ebenso blaß wie der Minister selbst.

Rauls hatte sich erst wenige Tage vor dem Parteitag auf die Gegenkandidatur festgelegt. Schon im vergangenen Jahr war er bei dieser Gelegenheit Kunert unterlegen. Und dieses Ergebnis wiederholte sich. Die Kunert-Fraktion konnte Rauls langwieriges Taktieren ohne erkennbaren Standpunkt vorwerfen. „Es ist natürlich sicher und bequem, taktierend abzuwarten, wohin sich die Waagschale senkt, und erst dann aufzustehen und integrierend zu wirken, wenn die Gefahr einer persönlichen Beschädigung vorbei ist“, sagte Kunert und spielte damit darauf an, daß es Rauls peinlich vermieden hatte, im Machtkampf um Kündigung oder Fortsetzung der Koalition Stellung zu beziehen.

Auf der Landesvorstandssitzung Ende November wurde Kunert sogar ein Verfahren vor dem Parteischiedsgericht angekündigt. Aus rein populistischen Erwägungen, so der Vorwurf, habe er Abgeordnete mit dem Verweis auf die Listenplätze unter Druck gesetzt und auf die eigene Linie zu bringen versucht. Kunert selbst verteidigte dieses Vorgehen auf dem Parteitag erneut: „Die Abgeordneten haben ihren Listenplatz und damit ihr Mandat schließlich durch die Partei“, sagte er. „Also muß man erwarten können, daß sie nicht gegen die Interessen der Partei handeln.“

Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung waren nach Gehälteraffaire und Regierungskrise für vorzeitige Neuwahlen. Eine Stimmungslage, die sich auch im Fußvolk der Partei wiederfindet. „Herr Rauls, ich kenne eine Menge Leute von der Basis, die Unterschriften für vorzeitige Neuwahlen sammeln“, rief eine Delegierte dem Gegenkandidaten Kunerts zu. Der dann auch prompt unterlag.

Während die Parteisoldaten der verfeindeten Parteiflügel für ihre Kandidaten in die Bütt gingen, hielt sich die vom Rhein an die Saale geworfene Parteiprominenz zurück. Weder der FDP-Bundesvorsitzende Klaus Kinkel noch Hans-Dietrich Genscher mochte für einen der beiden Kandidaten Partei ergreifen. Sie führten den Delegierten nur immer wieder vor Augen, wie wichtig die Einigkeit der Partei gerade in Sachsen-Anhalt sei. Schließlich ist das Land die liberale Hochburg schlechthin. Die FDP holte dort bei der letzten Bundestagswahl 19,4 Prozent und ihr einziges Direktmandat, und auch bei der letzten Landtagswahl fielen noch beachtliche 13,6 Prozent der Stimmen für die FDP ab. „Deshalb schaut die FDP in ganz Deutschland heute nach Halle“, mahnte Kinkel.

Kunert zeigte Bereitschaft zur Aussöhnung und schlug Rauls als ersten Stellvertreter vor. Jetzt sind beide Parteiflügel gleichermaßen im Vorstand vertreten und können die internen Machtkämpfe künftig bei Vorstandssitzungen hinter verschlossenen Türen austragen. Eberhard Löblich