Auf Wallfahrt zu Lessing

■ Demütig-weihevoll: „Die Erfahrung der Toleranz“, eine Radio Bremen-Ausstellung

„Die Worte Aufklärung, Kultur, Bildung sind in unsrer Sprache noch neue Ankömmlinge. Der gemeine Haufe versteht sie kaum.“ So klagt Moses Mendelsohn 1784 in der Berlinischen Monatsschrift. Zehn Jahre, nachdem G.E. Lessing von einer Italienreise die „Erfahrung der Toleranz“ mitgebracht hatte. Jetzt geben Lessings Erkenntnisse einer kleinen Ausstellung Titel und Inhalt, die bis 18.2. in der Liebfrauenkirche zu sehen ist.

Mit diesem „durchaus pädagogischen“ Unternehmen will sich die Redaktion des Kulturkanals Radio Bremen 2 „auch an der aktuellen politischen Debatte beteiligen“. Um den Deutschen in Ost und West (denn die Schau soll wandern gehen) die Toleranz näherzubringen, hat der Sender, gemeinsam mit der Liebfrauengemeinde und der Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel, die große Lessing-Ausstellung des vergangenen Jahres eingedampft und auf „die Essenz“ konzentriert, wie Jörg-Dieter Kogel von RB 2 sagt. Nämlich: Lessings Begegnung mit den freiheitlichen Grundsätzen der Stadt Livorno.

Darin spiegelt sich für die Organisatoren „die Keimzelle praktizierten multikulturellen Zusammenlebens“, wodurch man die – freilich zeitlos schöne – Aktualität gesichert sieht. Gleiches gilt für die Legitimation des RB 2-Engagements: „Wir verstehen uns als Aufklärungsfiliale, nicht als Zeitgeistbetrieb.“

Damit ist das ehrenwerte Vorhaben praktisch über jede Kritik erhaben. Allein die Form, in der die zentralen Ideen der Aufklärung dem Volke angedient werden sollen, sie erträgt den großen Vorsatz nicht. Das liegt nicht so sehr an der Reduzierung von ehemals 400 prächtigen Ausstellungsstücken auf ein überschaubares Maß. Es sind die Exponate selbst, die von der „Erfahrung der Toleranz“ erschlagen werden: Stellwände ringsum, bedruckt mit Text und Bildern; der Informationsgehalt entspricht ungefähr dem des zugehörigen Faltblattes.

Tafel für schlichte Tafel steht da, prägnant formuliert, von Lessings Aufenthaltsorten ist zu lesen; getreulich folgt man den Fußstapfen des Meisters. Maßgebliche Quellentexte sind faksimiliert, wie jene Grundsätze der Verfassung, die insbesondere „den jüdischen Kaufleuten, den Türken und Mohren“ samt ihrer Familien alle Freiheiten zusichert. Brav sind Belege aus „Nathan der Weise“ herausvergrößert. Wo allerdings noch die genau Reisekostenaufstellung der Italienfahrer abgedruckt und ausgedeutelt wird, da gerät die Lessing-Exegese doch ins Demütig-Weihevolle.

So klingt der Ton überzeugter Moralapostel durch die ganze, kleine Schau. Noch die Aufstellung der armen Stelltafeln, in Form eines kleinen Chorumgangs, ist ganz in diesem erzdevoten Sound gehalten. Dabei wollten die Veranstalter eigentlich jeden „akademischen Charakter“ vermeiden. So aber klingt es hier ganz nach jener Genieverehrung, die den Studiernden der Geisteswissenschaften immer noch eingetrichtert wird. Und das ist eine Erfahrung, auf die sich verzichten läßt. So kann man die Ausstellungsbesucher wohl beeindrucken. Aber von der hehren Idee wird dem „gemeinen Haufe“, so er der Aufklärung in klassischen Sinne bedarf, kaum etwas vermittelt.

Bleibt der ausführliche Katalog, und das kleine Beiprogramm: Am 6.2. wird über „Traum und Elend der Aufklärung“ diskutiert und am 16.2. erzählt Christoph Gerstrich über „Die heutige Gestalt christlicher Toleranz“

Thomas Wolff