Short Stories from America
: Güterabwägung in Sachen Sex

■ Guilianis Giorni, 1. Folge: Wie der neue Bürgermeister von New York durch ein Kondomverteilungsverbot einmal den Sexualtrieb der Teenager zähmte

Am 1. Januar wurde Rudolph Giuliani als erster Republikaner seit Menschengedenken Bürgermeister von New York – und schon hat er Gewaltiges geleistet. Als erste Amtshandlung hat er allen New Yorkern unter 18 den Sexualtrieb ausgetrieben. Und zwar folgendermaßen:

In den letzten zwei Jahren haben die höheren Schulen von New York im Rahmen der New Yorker Aids-Präventionsprogramme Kondome an alle Schüler ausgegeben, die sie haben wollten. Für Studenten und Schüler gab es zusätzlich zu den Verhütungsmitteln eine Beratung sowie schriftliche Informationen über Aids und Safer Sex. Am 31. Dezember urteilte ein Gericht des Staates New York, das Programm der Kondomverteilung verletze die verfassungsmäßigen Aufsichtsrechte der Eltern über ihre Kinder und außerdem Gesundheitsgesetze, wonach Eltern der Behandlung abhängiger Minderjähriger zustimmen müssen.

Als Anwalt gegen das Kondomprogramm trat Paul Crotty auf den Plan, den Giuliani zum offiziellen Anwalt der Stadt ernannte. Crottys Vorstellungen werden jetzt die Rechtspolitik der Stadt prägen, und sein Büro wird sie umsetzen. Im Verfahren um die Kondomverteilung vertraten allerdings zwei Richter eine sogenannte Mindermeinung: Das Gesetz erlaube Minderjährigen, argumentierten sie, in Kliniken Mittel zur Geburtenkontrolle in Empfang zu nehmen. Warum also sollte dieses Gesetz nicht auch für Schulen gelten? Richterin Geraldine Eiber war außerdem der Ansicht, das Interesse des Staates an der Rettung des Lebens einer Generation junger Menschen stehe über dem Interesse des Staates am Schutz der elterlichen Aufsichtsrechte. (280.000 Teenager gehen in New York zur Schule; Philadelphia, Los Angeles, Washington, San Francisco, Seattle und viele kleinere Städte planen ähnliche Programme zur Kondomverteilung.) Die Begründung ihrer abweichenden Meinung begann mit den Worten: „Da Aids zum Tode führt...“ Dennoch entschied das Gericht gegen das Leben.

Die Kondomverteilungsprogramme wurden von dem deshalb inzwischen entlassenen New Yorker Schulbeauftragten Joseph Fernandez eingerichtet. Er wurde außerdem wegen seines Vorschlags gefeuert, die Lehrer der Stadt sollten sich mittels zweier Geschichten weiterbilden, die das Thema Kinder mit schwulen Eltern aufgreifen. Die Programme fielen auch in die Amtszeit des inzwischen abgewählten New Yorker Bürgermeisters David Dinkins, dessen Syndikus sich vor Gericht für ihre Realisierung eingesetzt hatte.

Die New Yorker Eltern – oder zumindest die kleine, aktive Gruppe der Gegner der Kondomverteilung – wußten, daß nur ein wirklich guter Bürgermeister und Schulbeauftragter den Sexualtrieb ihrer Kinder würde zähmen können. Deshalb warfen sie Fernandez und Dinkins raus. Denn schon Phyllis Schlafley, Anführerin des extrem rechten, fundamentalistischen „Adlerforums“, hatte gesagt, die Kondomverteilungsprogramme würden kleine Mädchen doch nur zu Huren machen. Das Gericht des Staates New York stimmte dem zu.

Zur Umsetzung des Gerichtsurteils schlug der neue Schulbeauftragte Ramon Cortines ein Programm vor, wonach Eltern per Formular die Verteilung von Kondomen an ihre Kinder in der Schule verbieten können. Diese Formulare sollen in den Schulkliniken aufbewahrt und mit dem Schülerausweis verglichen werden, sobald er oder sie Kondome verlangen.

Wie die New York Times maßvoll bemerkte, „sagen viele Schüler und Studenten, es würden viel weniger Schüler Kondome verlangen, wenn sie ihre Ausweise zeigen müßten“. Die Times wußte auch zu berichten, daß die Pflicht zum Vorzeigen ihrer Schülerausweise die Privatsphäre der Schüler beeinträchtigt. Diese ist jedoch, wenn ich das Gerichtsurteil richtig lese, weniger wichtig als das Erziehungsrecht der Eltern.

Und das ist die Crux der ganzen Geschichte: das Recht der Eltern zur Beaufsichtigung des Verhaltens ihrer heranwachsenden Kinder. Mit diesem Gerichtsurteil im Rücken haben sie nun endlich freie Bahn. Zunächst einmal werden sie darüber entscheiden können, ob ihre Kinder Zugang zu Verhütungsmitteln erhalten. Da es keine Eltern gibt, die ihren Kindern Aids oder eine unerwünschte Schwangerschaft an den Hals wünschen, kann das nur bedeuten, daß Minderjährige in Zukunft auf Sex verzichten müssen.

Da der Sexualtrieb zu den Angelegenheiten gehört, die sich nicht verbieten lassen, kann das wiederum nur heißen, daß die Minderjährigen keinen Sexualtrieb mehr haben. Und so hat Giuliani den Teenagern von New York den Sexualtrieb gekappt.

Jetzt muß er nur noch die Straßenreinigung in Ordnung bringen. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning