■ Zu den Vorwürfen gegenüber dem Bundesgesundheitsamt
: Seehofer-Show mit Déjà-vu-Effekt

Es ist ein Déjà-vu-Erlebnis: Wie schon im Oktober vergangenen Jahres wirft Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer dem Bundesgesundheitsamt (BGA) vor, ihm Informationen über HIV-Infektionen vorenthalten zu haben. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß das Versäumnis des BGA damals wie heute aus politischem Kalkül dramatisiert wird. Seehofer erfuhr zu spät von Details, am Gesamtbild der HIV-Infektionen ändert sich jedoch nichts. Sowohl die angebliche „Geheimliste“ mit 373 Fällen vom Oktober als auch die Liste mit 453 Infektionsfällen, um die es jetzt geht, finden sich längst in der offiziellen Statistik des Aids-Zentrums des BGA wieder.

Bei der Liste, von der Seehofer erst Ende der vergangenen Woche erfuhr, handelt es sich um eine Liste der Firma Immuno, in der 453 Regreßansprüche von Infizierten aufgeführt sind. Da Immuno nähere Angaben zu den 453 Infektionsfällen hartnäckig verweigert hat, erfüllten sie nicht die Voraussetzungen, um in der Dokumentation des Arzneimittelinstitutes erfaßt zu werden. Die Liste wurde zu den Akten gelegt.

Dem BGA ist lediglich vorzuwerfen, einen schweren strategischen Fehler gemacht zu haben. Egal wie „unbedeutend“ die Liste der Altfälle von vor 1985 ist, sie hätte Seehofer beziehungsweise schon dessen Vorgängerin zur Information vorgelegt werden müssen.

Die Informationspolitik des BGA ist ungeschickt, und das weiß Seehofer geschickt zu nutzen. Schon im Herbst diente die Informationspanne zum Vorwand, den BGA-Präsidenten Dieter Großklaus ebenso abzuservieren wie den langjährigen Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, Manfred Steinbach. Seehofers Politik der Paukenschläge zielte schon damals darauf ab, das BGA sozusagen medial k.o. zu schlagen. Angesichts der zahlreichen tatsächlichen Versäumnisse der Berliner Behörde – nicht nur bei Aids – fiel es Seehofer nicht schwer, eine öffentliche Stimmung zu schaffen, in der die Auflösung des Amtes in sechs Einzelinstitute zunächst auf allgemeinen Beifall stieß.

Wenn jetzt nach gleichem Muster die gleiche Show inszeniert wird, kann nur eines vermutet werden: Nachdem in den letzten Wochen zaghafte Einwände gegen eine Umstrukturierung erhoben wurden, die das BGA an die kurze Leine des Gesundheitsministeriums legen könnte, muß in der Öffentlichkeit mit neuen Vorwürfen mal wieder für die „richtige“ Stimmung gesorgt werden. Das bietet Seehofer nicht nur die Gelegenheit, sich wieder in seine Lieblingspose des zupackenden Helden zu werfen, sondern erhöht auch seine Chance, sein Konzept gegen die Kritiker durchzudrücken. Dorothee Winden