You are entering the Berlin Republic

Wie man sich in den USA, ein Jahr nach den US-Wahlen und neun Monate vor den Bundestagswahlen, das neue amerikanisch-deutsche Verhältnis vorstellt / Orden für Bush und Baker  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Die Zeiten für deutsche Staatsbesuche in den USA haben sich zweifellos gebessert. Die Schlagzeilen über Skinheads und rechtsradikale Parteien sind vorerst aus der amerikanischen Presse verschwunden; die Unheil verkündende Analogie zur Weimarer Republik wird in den USA nicht mehr im Zusammenhang mit dem vereinigten Deutschland, sondern mit Rußland und dem Wahlerfolg Wladimir Schirinowskis benutzt; und in den think tanks, den amerikanischen „Denkfabriken“, herrschen über die neue Rolle Deutschlands in der internationalen Politik schon klare Vorstellungen, während man nicht nur in Berlin und Bonn noch heftig debattiert.

„Nach Bonn – Amerika und die Berliner Republik“ lautet der Titel einer Studie, die die „Carnegie Endowment for International Peace“ rechtzeitig zum USA-Besuch Bundeskanzler Kohls herausgebracht hat. Diskussionsstoff bietet nicht nur der Inhalt, sondern auch die personelle Zusammensetzung der Arbeitsgruppe, die an dem Projekt mitgewirkt hat: Unter den 29 TeilnehmerInnen befinden sich mehrere leitende Regierungsbeamte aus dem Außen-, Verteidigungs- und Handelsministerium. Als Autor zeichnet Daniel Hamilton verantwortlich, ehemals stellvertretender Direktor des Aspen- Instituts in Berlin, der demnächst eine leitende Position in der US- Botschaft in Bonn antreten wird. Damit erhält die Studie zweifellos das Flair des Semioffiziellen.

„Nach Bonn – Amerika und die Berliner Republik“ ist die Skizze einer neuen Arbeitsgrundlage, die explizite Absage an das Konzept des Juniorpartners Deutschland. An dessen Stelle tritt die Idee einer Kooperation auf den Gebieten der Sicherheits-, Wirtschafts- und Umweltpolitik, in der der Berliner Republik uneingeschränkt die Rolle einer europäischen Regionalmacht zugeordnet und damit höchste Priorität in der US-Außenpolitik eingeräumt wird – ein Konzept, das in anderen westeuropäischen Ländern, allen voran Frankreich, auf einigen Unmut stoßen dürfte.

Die neue Ära schließt aus amerikanischer Sicht ebenso neue Rechte wie neue Pflichten für Deutschland mit ein: zum Beispiel einen Sitz im UN-Sicherheitsrat und gleichzeitig eine Bundeswehr, die, „befreit von ihrer verfassungsrechtlichen Zwangsjacke“, an UN-, WEU- oder Nato-Einsätzen zur Einhaltung des Völkerrechts und zum Schutz der Menschenrechte teilnimmt. Deutschland sei bislang ein „Importeur“ von Sicherheitsgarantien gewesen. Es müsse nun, nach Ende des Kalten Krieges, zu einem „Exporteur“ von Sicherheit werden. Angst vor einer neuen deutschen Expansionspolitik in Europa hat Hamilton nicht: „Die historische Furcht vor der Dominanz der Deutschen ist offensichtlich in der größeren Furcht aufgegangen, vom deutschen Kapital und den deutschen Eliten vernachlässigt zu werden.“

„Bundeswehr“ und „out of area“ sind die Schlagworte der Studie, die beim deutschen Publikum vermutlich am meisten Aufmerksamkeit und Aufregung hervorrufen werden. Doch die Arbeitsgruppe um Daniel Hamilton mißt, ganz in Übereinstimmung mit der neuen Clintonschen Definition von Außenpolitik, den Wirtschaftsbeziehungen mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit bei. Eine „neue strategische Partnerschaft Richtung Osten“ soll nicht die Wirtschaftshilfe der beiden Länder für die ehemaligen Staaten des Ostblocks koordinieren, sondern auch demonstrieren, daß man die in Deutschland sehr viel dringlicher artikulierten Ängste vor einem Scheitern der Reformpolitik in Osteuropa ernst nimmt.

Das dürfte wiederum in Deutschland ebenso wohlwollend aufgenommen werden wie Hamiltons Vorschläge zur zukünftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik zwischen den USA und der „Berliner Republik“. Die sollen erst einmal die Geister vertreiben, die unter anderem US-Außenminister Warren Christopher herbeigerufen hatte, als er eine Interessenverlagerung der USA weg von Europe in Richtung Asien prophezeite. Richtig ist, daß der US-Handel mit asiatischen Ländern wächst, doch das bestehende Handelsbilanzdefizit macht den Amerikanern weitaus mehr Kopfzerbrechen als der relativ ausgeglichene Handel mit Westeuropa. Was den Investitionssektor angeht, so haben aus amerikanischer Sicht die transatlantischen Beziehungen Hochkonjunktur – nicht die transpazifischen. Aktuelle Beispiele sind die Entscheidungen von BMW und Mercedes-Benz, in den USA zu investieren – vor allem weil dort die Lohnkosten niedrig sind. Solche und andere Probleme auf beiden Seiten will Hamilton in Zukunft mit einem „Transatlantischen Investment Code“ lösen, ein Regelwerk, das in erster Linie auf dem Prinzip basiert, daß ausländische Investoren auf dem jeweiligen Markt wie nationale Firmen behandelt werden.

Eine ähnliche „strategische Partnerschaft“ schlägt Hamilton auch vor, um die transatlantische Umweltdebatte in Gang zu bringen. Hier tauchen so manche Ideen auf, die einen langen Weg von Programmen und Pamphleten der Grünen über Al Gores Bestseller „Earth In The Balance“ in Regierungsbehörden zurückgelegt haben – zum Beispiel das Konzept eines umweltverträglichen Wachstums oder die Einbeziehung ökologischer Kosten bei der Preisgestaltung von Produkten.

Bei allem Hang zu Vision und Prognose hüten sich Hamilton und die MitarbeiterInnen, darüber zu spekulieren, wie der nächste Kanzler der „Berliner Republik“ heißen wird – auch wenn er fürs erste immer noch in Bonn regieren dürfte. Helmut Kohls USA-Visite, die kein Staatsbesuch ist, sondern auf Einladung der „National Governor's Association“ erfolgte, wird in Washington als Teil des beginnenden deutschen Wahlkampfs gesehen: Ein innenpolitisch schwer angeschlagener Regierungschef, Repräsentant einer alten Ära, sucht günstiges Scheinwerferlicht auf internationalem Parkett. Das erinnert viele in den USA an George Bush, der im übrigen zusammen mit Exaußenminister James Baker für seine Rolle beim deutschen Vereinigungsprozeß am Sonntag von Kohl das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam. Die Szene war von mehr Nostalgie und dem Gefühl vergangener Zeiten getragen, als Kohl lieb gewesen sein kann. Daran konnte auch das avisierte Treffen mit Bill Clinton in einem italienischen Restaurant zwecks Gedankenaustausch und Einverleibung eines kräftigen Mittagessens nichts ändern. Über die kulinarischen Prioritäten des Rudolf Scharping ist hier noch nichts bekannt. Doch der soll im Frühjahr eine Einladung nach Washington erhalten. Die Frage ist, ob sich die SPD bis dahin im klaren ist, wie die deutsch-amerikanischen Beziehungen aus Sicht der „Berliner Republik“ aussehen sollen.