: Geistige Tiefflieger und Baseballregeln Von Andrea Böhm
Sich im Wahlkampf mit primitiven Sprüchen zu profilieren muß selbst auf intelligente PolitikerInnen eine ungeheure Anziehungskraft ausüben. Geistige Tiefflieger-Symptome muß man nun auch bei New Yorks Gouverneur, Mario Cuomo, diagnostizieren.
Cuomo unterscheidet sich eigentlich in vielem positiv von der Mehrheit seiner Zunft – unter anderem durch eine überdurchschnittliche rhetorische Begabung, in deren Genuß ab und an das besagte Volk kommt; und durch seine Opposition gegen die Todesstrafe, die im Bundesstaat New York die Stelle des Henkers eingespart und vermutlich so manchem das Leben gerettet hat.
Die meisten seiner KollegInnen bleiben von solchen ethischen Prinzipien unbehelligt. Entweder folgen sie dem biblischen Spruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ aus Überzeugung – oder sie nehmen es als eine der lästigen Begleiterscheinungen ihres Jobs in Kauf, ab und an einen Exekutionsbefehl zu unterzeichnen.
Nun ist der New Yorker Gouverneur derzeit etwas verunsichert, weil er nicht weiß, ob ihn das Volk im Herbst noch einmal wählen will. Nicht zuletzt sein „liberaler“ und „softer“ Umgang mit VerbrecherInnen hat ihn in die Bredouille gebracht.
Der Mann suchte nach Auswegen – und wurde offenbar auf den Sportseiten seiner täglichen Zeitungslektüre fündig. In Anlehnung an eine Regel aus dem Baseball soll demnächst in New York automatisch zu lebenslanger Gefängnisstrafe verurteilt werden, wer zum dritten Mal wegen eines Gewaltdelikts verurteilt worden ist. Dabei kann es sich um drei Morde handeln – oder aber um drei Schlägereien. „Three strikes and you're out“, heißt das im Baseball, wenn man dreimal danebengehauen hat.
So manche/r fragt sich, was in den New Yorker Gouverneur gefahren ist. Schließlich hat der die übliche PolitikerInnenausbildung, ein Jurastudium, hinter sich und sollte das Wort „Rechtsstaatlichkeit“ nicht nur buchstabieren können. Entsprechend verzweifelt reagieren die Bürgerrechtsorganisationen im Staate New York, die sich hilfesuchend bei den Mediävisten nach Präzendenzfällen für solchen Schwachsinn erkundigen.
Der Fairness halber muß gesagt sein, daß Cuomo nicht allein auf die Idee gekommen ist. Ein entsprechendes Gesetz gibt es schon im Bundesstaat Washington. Dreißig weitere Staaten wollen dem Beispiel folgen – und Bill Clinton war sich bei seiner letzten Ansprache an die Nation nicht zu schade, mit demselben Slogan um Ovationen zu buhlen.
Wer den mittlerweile 1,4 Millionen Gefängnisinsassen in den USA eine neue Generation von „Lebenslangen“ hinzufügen will, der braucht Geld für neue Knäste. 21 Milliarden Dollar pro Jahr lassen sich die USA mittlerweile den Bau neuer Gefängnisse und die Verwahrung der Insassen kosten. Drei Milliarden will allein der Bund mit Zustimmung des Präsidenten demnächst beisteuern – dazu noch einmal neun Milliarden für 100.000 zusätzliche PolizistInnen. Ein Zeitungskommentator schlug daraufhin zaghaft vor, das Geld doch lieber für 100.000 zusätzliche LehrerInnen auszugeben, aber das Wort „Prävention“ ist im Wahlkampfvokabular nun überhaupt nicht vorgesehen. Dann schon lieber mit dem Baseballschläger draufhauen.
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