Japan außer Atem

■ ARD-Reihe startet mit Nagisa Oshimas "Nackte Jugend"

Die Studentin Makoto fährt per Autostopp. Im Wagen eines Geschäftstypen. Er fragt sie, warum sie nicht mit dem Zug fahre. Und sie antwortet: „Autos sind bequemer.“ Als sie aussteigt, geht er ihr an die Wäsche. Oshimas „Nackte Jugend“ beginnt abrupt, direkt und gradlinig. Man braucht einen Augenblick, um zu realisieren, daß man schon mittendrin im Geschehen ist.

Kiyoshi, ein Student der Philosophie, der auch gut mit der Faust argumentiert, kommt zufällig vorbei und setzt dem Freier zu. Mit Geld windet der sich aus der Affaire. Kiyoshi und Makoto verlieben sich ineinander und praktizieren das gut funktionierende Spiel fortan als Broterwerb.

Ein Sittenbild vom Japan der 60er Jahre. Moralische Skrupel kennen die beiden nicht. Sie denken rein funktional: Für Sicherheit und Wohlstand haben die reichen Säcke mit ihren schicken Autos Triebverzicht in Kauf genommen. Sirenenhaft lockt Makoto die potenten Geschäftsleute jetzt aus ihren Schneckenhäusern. Jämmerlich und hilflos winden sie sich hinterher auf dem Boden. „Nackte Jugend“ störte 1962, als der Film zensiert in Deutschland lief, übrigens vor allem katholische Moralapostel (wahrscheinlich waren sie selbst schon auf diesen Trick hereingefallen).

Dem Feuer der Jugend, das Oshima mit unterkühltem Pathos lodern läßt, droht zweifaches Schicksal. Entweder das junge Paar dreht seine zügellose Lebenswut herunter auf Sparflamme. Wie jene Spießer, die mit schweren Autos herumfahren und nur darauf warten, junge Mädchen zu befingern. Oder sie werden kalt und müde wie jenes Ex-Revoluzzerpaar, dem Kiyoshi und Makoto im Hinterzimmer eines heruntergekommenen Arztes begegnen.

„Nackte Jugend“, dessen atemberaubende Scope-Bilder auf dem TV-Schirm leider nicht mehr ihre imposante Wirkung entfalten, ist mehr als ein Plädoyer für „Life fast, die young“. Nachdem sie ihre Liebe gegen alle möglichen Anfeindungen verteidigt haben, trennen sie sich. Am Ende steht die resignative Einsicht, daß das Mittelmaß der Lebenserhaltung über kurz oder lang doch zuschlagen wird. Ihr Lebenssinn dagegen reduziert sich auf den Protest. So stirbt Kiyoto unter den Schlägen von Zuhältern, weil er sich weigert, ihnen Makoto zwecks Schuldbegleichung zur Verfügung zu stellen. Aus einem fahrenden Auto, das sie in ein behütetes Leben zu bringen droht, springt zur selben Zeit Makoto und wird zu Tode geschleift. Nicolas Rays „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, Godards „Außer Atem“ und „Nackte Jugend“ bilden eine Trilogie der „Lost Generation“.

Als Fernseh-Erstausstrahlung bildet Oshimas Film den Auftakt einer vierteiligen Japan-Reihe, die fortgesetzt wird mit zwei deutschen Erstaufführungen, Hiroshi Teshigaharas Historiendramen: „Rikyu, der Teemeister“ (am 9.2.) sowie „Seide und Schwert“ (am 16.2.). „Rikyu“ erzählt die Geschichte der historisch verbürgten Figur eines buddhistischen Mönches, der im 16. Jahrhundert am Hof des kriegerischen Fürsten Hiedeyoshi diente. Er hat die Zeremonie der rituellen Teezubereitung zur höchsten Vollendung gebracht und steigerte dadurch den Ruhm seines Herren.

In langen Einstellungen und mittels geschliffener Dialoge legt der Regisseur immer wieder das Augenmerk auf die Filigranität dieser Zeremonie. Spürbar wird dadurch, daß die exotischen Dekors keine stumpfen Requisiten eines Historienschinkens sind, sondern Spiegelung des Teerituals in der Atmosphäre des ganzen Films.

Dessen Stärke liegt darin, nicht in das vulgärsoziologische Klischee zu verfallen, nach dem der Fürst auf dem Gipfel seiner Macht die Kunst (des Teezubereitens) lediglich als Surplus konsumiert. Das wäre nur dekadent. Wesen der Teezeremonie ist vielmehr, daß in ihr die symbolische Ordnung des gesamten Staatswesens kulminiert. Diese Dialektik läßt sich in der gebotenen Kürze nicht erklären; Hegel hat 20 Bände darüber geschrieben und wäre dabei fast wahnsinnig geworden. Statt dessen kann man den Film schauen: Der in der Zeremonie verdichtete Staatsapparat erhält seinen Sinn erst in dem Moment, da der Tee dem Fürsten schmeckt.

Der sublime Aufbau dieser wechselseitigen Abhängigkeit gerät aus dem Gleichgewicht, als einerseits der Fürst seinen Teemeister für Intrigen mißbrauchen will und dieser andererseits sich in Staatsgeschäfte einmischt. „Rikyu“, der in „Seide und Schwert“ seine angemessene Fortsetzung erfährt, ist ein Film, in dem Form und Inhalt keine getrennten Phänomene mehr sind. Wer auf Beuteltee steht, wird keinen Geschmack an ihm finden.

Die ARD-Reihe schließt ihre Reihe mit „Mac Arthurs Kinder“ (am 23.2.). Wer indes begriffen hat, daß es nicht nur darum geht, grüne Blätter in heißem Wasser aufzulösen, kann am 22.2. in der ZDF- Reihe „Welten des Buddhismus“ „Der Tod eines Teemeisters“ goutieren. Regisseur Kei Kumai brüht das Thema noch einmal auf. Manfred Riepe