■ Das Portrait
: Rafael Caldera

Vor 47 Jahren bewarb sich Rafael Caldera, der heute als Präsident Venezuelas vereidigt wird, zum ersten Mal erfolglos um das erste Amt im Staate. Wenige Jahre zuvor war der junge Anwalt und Politikwissenschaftler an der Gründung des „Komitees der Unabhängigen Politischen Wahlorganisation“ (COPEI) beteiligt gewesen – einer Partei, die sich an der italienischen Christdemokratie und der spanischen Falange orientierte. Als sich die politischen Parteien 1958 zusammentaten, um den Militärdiktator General Pérez Jiménez zu stürzen, spielte Caldera eine tragende Rolle.

Erst beim vierten Anlauf, bei der Wahl von 1968, konnte sich der Christlichsoziale durchsetzen. Seine Regierung ist der Bevölkerung als Zeit der Reformen in Erinnerung, in der die Erdgasproduktion verstaatlicht, der Erdölpreis reguliert und das Erziehungswesen modernisiert wurden. Ehemalige Studenten können ihm aber nicht die Repression an den Unis verzeihen, den letzten Bollwerken der besiegten marxistischen Rebellen.

Calderas Versuch, ein zweites Mandat zu gewinnen, scheiterte 1983 am Sozialdemokraten Jaime Lusinchi. Seine Sternstunde schlug nach der gescheiterten Militärrebellion vom 4. Februar 1992, als er in einer Rede vor dem Senat die gerechten Motive der Putschisten anerkannte und eine grundlegende Reform des vom Parteienfilz gelähmten politischen Systems forderte. Dennoch stellte ihn die COPEI Venezuelas neuer PräsidentFoto: Reuter

nicht für die parteiinterne Wahl im April auf. Also gründete er seine eigene Partei, die Convergencia. Am 5. Dezember gewann Caldera souverän die Präsidentschaftswahlen und brach damit das traditionelle Zweiparteiensystem, doch im Parlament ist die Opposition in der Mehrheit.

Rafael Caldera ist ein extrem autoritärer Mann. Die Befürchtung, daß er nach dem Vorbild des Peruaners Fujimori das äußerst fraktionierte Parlament in einem verfassungswidrigen Akt auflösen könnte, um freie Hand zu haben, konnte er nicht befriedigend ausräumen. Doch Durchsetzungsvermögen ist für viele Venezolaner eine unvermeidliche Eigenschaft des neuen Staatschefs, der mit ausufernder Kriminalität, galoppierender Verarmung, Drogenkartellen, rebellischen Militärs und einer von Korruption durchdrungenen Staatsverwaltung fertig werden muß. Ralf Leonhard