Noch ist der Druck von innen zu schwach

■ Afghanistans Warlords eskalieren den Krieg / Ausweitung im Norden

Neu-Delhi (taz) –Einen Monat nach dem Ausbruch neuer Kämpfe in Afghanistan wird Kabul mit unverminderter Heftigkeit bombardiert. Die Regierungstruppen rekrutierten jetzt zwangsweise kleine Jungen für die Front, deren Verlauf wirr durch Stadtteile und Gassen geht, berichten Flüchtlinge laut dpa. In Kabul gebe es kaum noch etwas zu essen. Und in den Nordprovinzen weiten sich die Kämpfe aus.

Immer noch gibt es keine Anzeichen, daß der starke diplomatische Druck auf die verfeindeten Afghanenführer Wirkung zeigt. Weder die Appelle Pakistans, Saudi-Arabiens und des Iran noch die Initiativen der Organisation Islamischer Staaten und der UNO vermochten die Streithähne zu trennen. Ein Grund für die Zähigkeit, mit der sie sich weiterhin beschießen, liegt im Mangel an politischen Alternativen: Die meisten Optionen wurden bereits im Abkommen von Peshawar von 1992 und in den letztjährigen Verträgen von Islamabad und Jalalabad ausprobiert – und haben sich als ungangbar erwiesen. Sie scheiterten letztlich an der Unfähigkeit der wichtigsten Exponenten, Gulbuddin Hekmatjar und Ahmed Schah Massud, sich auch nur für eine Übergangsphase auf eine Teilung der Macht zu verständigen, die ihren politischen und militärischen Kräfteverhältnissen entsprochen hätte. Die Situation hat sich gegenüber dem letzten Jahr dadurch kompliziert, daß sich mit General Raschid Dostam ein neuer Anwärter für die Kriegsbeute gemeldet hat.

Dabei fällt seine lange Verbindung mit den Sowjets heute weniger ins Gewicht als seine militärische Schlagkraft. Hekmatjar hat sich nicht gescheut, ihn zum Verbündeten zu nehmen, um Massud in Kabul einzukesseln; und auch wenn Präsident Rabbani nun laut verkündet, sein Kampf gelte dem „Kommunisten“ Dostam, war er doch bis vor kurzem dessen Alliierter. Neben den „ideologischen“ geraten im jüngsten Waffengang auch die ethnischen Trennlinien immer mehr durcheinander: Mit Massud und Dostam befehden sich zwei Schiiten aus dem Norden, während der Paschtune und Sunnit Hekmatjar sich mit dem Usbeken Dostam vereint und darüber hinaus schon längere Zeit eine Allianz mit der schiitischen Hizbe Wahdat unterhält.

Trotz der Brutalität und weiteren Destabilisierung des jüngsten Konflikts birgt dieser daher auch Chancen für eine Lösung, welche die Integrität des Landes unangetastet läßt: Je stärker sich in ihm die ethnischen und ideologischen Gegensätze zugunsten des machtpolitischen Kalküls überschneiden, desto weniger wird es den „Warlords“ gelingen, große Bevölkerungsgruppen unter dem Banner der Ethnizität oder des Glaubens hinter sich zu bringen und Sezessionsgelüsten nachzugeben. Je länger sich diese zudem gegenseitig militärisch schwächen, ohne daß einer den anderen in die Knie zu zwingen vermag, desto stärker wird sich in der Bevölkerung der Widerstand gegen einen Krieg regen, der sie daran hindert, endlich an den Wiederaufbau des zerstörten Landes zu gehen. Symptomatisch dafür mag die Friedensaktion der 45 Mudschaheddin-Kommandanten sein, die in der Shura (Rat) der Region Kabul zusammengefaßt sind und alle politischen Strömungen vertreten. Sie begaben sich vor knapp zwei Wochen zu Rabbani, Hekmatjar und Dostam und forderten sie auf, die Kämpfe einzustellen. Auch wenn sie ergebnislos abziehen mußten, zeigt das Beispiel, daß die Afghanen beginnen, ihre Kriegsmüdigkeit zu artikulieren. Bernard Imhasly