In Chinas Joint-ventures gärt es

In Gemeinschaftsunternehmen mit ausländischem Management kommt es immer häufiger zu wilden Streiks / Aufgrund des miserablen Arbeitsschutzes häufen sich die Unfälle  ■ Aus Peking Sheila Tefft

Weil die Treppenaufgänge in der Zhili-Spielzeugfabrik versperrt und die Fenster fest vergittert waren, kamen im November vergangenen Jahres mehr als achtzig Arbeiterinnen im Feuer um. Leiter des Betriebes war ein Geschäftsmann aus der britischen Kronkolonie Hongkong. Weniger als einen Monat später verbrannten sechzig ArbeiterInnen – überwiegend Frauen – in einem provisorisch hergerichteten Schlafsaal im vierten Stock der Gaofu-Textilfabrik in Ostchina. Das in der Hauptstadt der Provinz Fujian, Fuzhou, ansässige Unternehmen wurde von einem Taiwaner geführt.

Immer wieder ist es in den vergangenen Wochen und Monaten zu schweren Unfällen in chinesisch-ausländischen Joint-venture- Betrieben gekommen. Das liegt vor allem an miserablen Arbeitsbedingungen, sagen chinesische Funktionäre. Dazu kommen viele Überstunden und schlechte Bezahlung, nicht selten wird das Personal sogar körperlich gezüchtigt. In den Zeitungen mehren sich Berichte, nach denen ArbeiterInnen für schlechte Leistungen geschlagen oder wegen eines Nickerchens am Arbeitsplatz gefeuert wurden, daß sie Strafe zahlen mußten, weil sie Kaugummi kauten, daß sie in eine Hundehütte gesperrt wurden, weil sie gestohlen oder gegen niedrige Löhne protestiert hatten.

Die Spannungen zwischen ausländischen Kapitalisten, die von den billigen Löhnen nach China gelockt wurden, und den ArbeiterInnen, die noch mit der Arbeitsplatzsicherheit und dem lebenslangen Netz von Sozialleistungen des Sozialismus aufgewachsen sind, sind unübersehbar. Chen Ji, der für den offiziellen chinesischen Gewerkschaftsverband arbeitet, bezeichnet die Arbeitskonflikte in einigen Gemeinschaftsunternehmen als „alarmierend“. Dies sei vor allem dort der Fall, wo es sich um südkoreanische, taiwanische und Hongkonger Partner handelt.

„Kein ordentliches Rechtssystem“

Er rechnet damit, daß das Problem weiter wächst. „China hat kein ordentliches Rechtssystem und kein Arbeitsrecht. Deshalb gibt es keinen institutionalisierten Verhandlungsmechanismus zwischen ArbeiterInnen und Besitzern“, sagt Chen. Die meisten Konflikte gibt es „in Klein- oder Mittelbetrieben, wo die Arbeitsbedingungen sehr schlecht sind oder wo die Arbeitskräfte beleidigt, ausgebeutet oder geschlagen werden“, so Chen weiter. „Die Eigentümer sind oft kleine Kapitalisten, die nicht viel Geld haben und keine Gewerkschaften in ihren Betrieben zulassen wollen.“

Diese neuen Probleme treffen auf eine bislang schon instabile Situation. Obwohl die marktorientierten Reformen bereits in den achtziger Jahren eingeleitet wurden, steht die Regierung immer noch vor der Frage, wie sie mit den Millionen ArbeiterInnen fertig werden soll, die aus den unprofitablen Staatsbetrieben entlassen werden müssen. Darüber hinaus wird China in den kommenden Jahrzehnten Jobs für 68 Millionen neue städtische Arbeitskräfte und 210 LandbewohnerInnen schaffen müssen, prognostiziert das Arbeitsministerium.

Zudem sind die Arbeitsunfälle stark gestiegen. Zwischen Januar und August 1993 waren es doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Weil die Sicherheitsvorschriften verletzt wurden, heißt es, starben mehr als 11.000 ArbeiterInnen. Die Regierung hat dazu aufgerufen, den Arbeitsschutz zu verstärken, um die wilden Streiks in Betrieben in ausländischem Besitz einzudämmen.

In Shanghai ist die Zahl der Arbeitskämpfe in Joint-ventures im vergangenen Jahr um fast 100 Prozent gestiegen. In der Industriestadt Tianjin gab es Proteste gegen schlechte Arbeitsbedingungen in japanisch und südkoreanisch geleiteten Betrieben, berichtet die chinesische Presse. Konflikte sind Berichten der Rechtszeitung zufolge besonders stark in den Provinzen Guangdong und Fujian, die eine Vorreiterrolle in Chinas boomender Wirtschaft innehaben.

Probleme mit den Gewerkschaften

Obwohl die Regierung von den 40.000 Firmen mit ausländischer Beteiligung verlangt, daß sie Gewerkschaften haben, ist nur etwa ein Prozent dieser Forderung nachgekommen, wie das Arbeitsministerium festgestellt hat. Für chinesische Funktionäre, die ausländische Investoren mit dem Versprechen billiger Arbeitskraft lokken, ist die Situation schwierig. Sie müssen nun fürchten, daß ein strikter Arbeitsschutz das dringend benötigte Kapital abschreckt.

Die offizielle Position ist klar: „ArbeiterInnen in ausländisch finanzierten Unternehmen sind, wie ihre Kollegen anderswo, Herren ihres Landes, und als solche sind ihr politischer Status und ihre legitimen Rechte und Interessen durch die Verfassung und das Gesetz geschützt“, zitiert die amtliche Nachrichtenagentur Zhang Dinghua den Vizevorsitzenden des Allchinesischen Gewerkschaftsverbandes. Die Gewerkschaften „müssen die mit ausländischem Kapital finanzierten Unternehmen bei ihrem legitimen Management und Geschäftsbetrieb unterstützen, unter keinen Umständen dürfen sie in ihrer Arbeit zum Schutz der legitimen Rechte und Interessen der Arbeiter schwanken“.

Möglicherweise hat die Regierung noch tiefer liegende Motive, um die gewerkschaftliche Organisierung zu forcieren. Westliche Beobachter meinen, sie wolle auf diese Weise ihren Einfluß auf die ausländischen Joint-ventures stärken, die weitreichende wirtschaftliche Freiheiten genießen. Durch die Etablierung offizieller Gewerkschaften wollen die Funktionäre auch dem Entstehen informeller Gewerkschaften zuvorkommen.

Einige westliche Geschäftsleute fürchten, das Ressentiment der Arbeitskräfte gegenüber ihren ausländischen Arbeitgebern könnte außer Kontrolle geraten und eine neue Welle der Ausländerfeindlichkeit im Lande auslösen. Ein US-Geschäftsmann, der seit zehn Jahren in China ist: „Die Regierung spürt, daß sie die Kontrolle über die ausländischen Unternehmen verloren hat, und sie benutzt diese Gewerkschaftsgeschichte, um die Sache wieder in die Hand zu bekommen. Die Situation ist sehr gespannt.“