Bafög-Stipendien sollen nach dem Willen der Regierung nicht nur eingefroren, sondern auch wieder auf Volldarlehen umgestellt werden. Bei seinen heutigen Beratungen will das Bundeskabinett diese Änderungen forcieren – und agiert damit womöglich verfassungswidrig. Von Christian Füller

Eine Hypothek als Verfassungsfall

Wenn die Sparkommissare im Bundeskabinett heute Hand ans Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) legen, sollte Bildungsminister Rainer Ortleb (FDP) gut auf seinen CDU-Staatssekretär aufpassen. Norbert Lammert und seinen Parteifreunden reicht es nicht, die Studienförderung einzufrieren und künftig bereits nach zwei Semestern scharf zu kontrollieren. Lammert fordert, das „De- Luxe“-Bafög, wie er es nennt, wieder als Volldarlehen auszugeben. Das gab's zwar schon einmal – 1983 bis 1990 –, verfassungswidrig ist es trotzdem. So jedenfalls meinen Hannoveraner Verwaltungsrichter und einige tausend Ex-Bafög- EmpfängerInnen, von denen das Bundesverwaltungsamt in Köln auf rigide Weise die gezahlte Zuwendungen wiedereintreibt.

Fünf Jahre nach der letzten Bafög-Rate müssen die Geförderten das Stipendium an Vater Staat zurücküberweisen. Wer dabei in Verzug gerät oder sich mit den diffizilen Rückzahlungsvorschriften nicht auskennt, den nimmt das Kölner Amt gehörig in die Mangel. Strafzinsen von über 2.000 Mark für einjährigen Zahlungsverzug sind da keine Seltenheit, denn die Zinsen werden auf die gesamte Darlehensschuld berechnet.

Inzwischen kümmern sich Volldarlehens-Initiativen in Hamburg und Berlin um die bisweilen haarsträubenden Fälle (siehe unten). Es handelt sich bei den Geschädigten nicht etwa um Profiteure oder Querulanten, die die eingesackte Staatsknete nicht wieder herausrücken wollen. Sie führen eine handfeste Ungleichbehandlung ins Feld. Denn anders als alle anderen SozialleistungsempfängerInnen sollen die ehemaligen StipendiatInnen auch das Wohngeld zurückbezahlen, das Teil des Bafög ist. Das dürfte mit einiger Sicherheit ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, ergo verfassungswidrig sein. Auf Antrag der Hannoveraner Bafög-Richter soll nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob das Bafög-Gesetz in seinem Paragraphen 17 mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Doch das kann dauern. „Eine Entscheidung ist derzeit nicht absehbar“, teilte ein Sprecher des Verfassungsgerichts der taz mit.

Während in Karlsruhe die Bafög-Akte im Schreibtisch verstaubt, treibt das Bundesverwaltungsamt munter Bafög-Schulden ein. Betroffen von der wahrscheinlich unrechtmäßigen Rückforderung sind immerhin jene 800.000 Menschen, die zwischen 1983 und 1990 Bafög als Volldarlehen bekommen haben. Nach seinem Amtsantritt hatte Kanzler Kohl nicht nur die Zahl der Bafög-Empfänger und der Arbeiterkinder unter ihnen kräftig gedrückt. Im Verein mit seiner Bildungsministerin Dorothee Wilms verwandelte er das Bafög in ein Volldarlehen. Mancher Student häufte fortan Schuldenberge von über 50.000 Mark an. Eine schwere Hypothek, wie Andreas Müller von der Berliner Initiative gegen die Volldarlehensregelung meint: „Das ist kein gutes Studieren, wenn einem die Schulden über den Kopf wachsen.“ Doch alle Gegenwehr blieb bislang erfolglos.

Zwar änderte die Regierung 1990 erneut die Bafög-Konditionen; von da an sollte nur noch die Hälfte zurückbezahlt werden. Doch die 12. Bafög-Novelle galt nicht rückwirkend für die VolldarlehensempfängerInnen der 80er Jahre, wie es unter anderem der Petitionsausschuß des Bundestages forderte.

Über Bafög-Novellierung Studienordnungen ändern

Die Bundesregierung wies das mit der Begründung zurück, „daß auch die anderen damals betroffenen Personengruppen eine derartige Forderung erheben“ könnten. Zum Beispiel SchülerInnen, für die Wilms und Kohl das Bafög 1983 gleich ganz abgeschafft hatten. In dem Regierungsbericht aus dem Jahr 1990 wurden „allgemeine und spezielle Gerechtigkeitserwägungen“ vorgenommen. Kein Wort davon, daß der Zwang zur Rückführung des Volldarlehens inklusive Wohngeld gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt.

Dabei hätten es die Juristen aus Regierung und Bildungsministerium (BMBW) besser wissen müssen. Bereits 1987 hatte der Verfassungsrichter im Ruhestand, Hans- Joachim Faller, dem BMBW in einem dickleibigen Gutachten nachgewiesen, daß die Wohngeldrückforderung gegen die Verfassung verstoße. Der damalige Ressortchef Jürgen Möllemann machte daraufhin das Bafög grundgesetztreu, indem er auf das Prinzip „Halb Zuschuß, halb Darlehen“ umstellte.

Die Hamburger und Berliner Initiativen gegen die Volldarlehensregelung streiten für den Erlaß von mindestens 50 Prozent der Rückforderungen. Inzwischen haben sich die Initiatoren zu echten Bafög-Experten gemausert. Aktenordnerweise wühlt sich etwa der „abgebrochene“ Publizistikstudent Andreas Müller durch Rückerstattungsstreitigkeiten mit dem Bundesverwaltungsamt. Der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und den Bafög- Beratern der Studentenausschüsse nehmen sie eine Menge Arbeit ab. „Die würden uns am liebsten die Füße küssen“, sagt Müller.

An Arbeit wird es ihm auch nach der heutigen Kabinettssitzung zum Bafög nicht mangeln. Der geplante Leistungsnachweis kurz nach Studienbeginn wird bei den Inis die Zahl der Anfrager und bei den Kölner Bafög-Eintreibern die der Schuldner anwachsen lassen. Vor allem im Osten der Republik, wo derzeit noch neun von zehn StudentInnen Bafög beziehen. Wenn die Einjahreskontrolle und die im BMBW bereits angedachte Laufzeitverkürzung des Bafög wirklich kommen, dürfte sich die Zahl der Bafög-EmpfängerInnen auch östlich der Elbe bald der mageren 30-Prozent- Marge des Westens annähern.

Im Kern zielt die Bundesregierung aber auf anderes. Sie will – obwohl sie damit die Autonomie der Hochschulen verletzt – bei den vieldiskutierten Studienreformen mitmischen. „Die Regierung versucht“, mutmaßt Gerd Köhler vom GEW-Hauptvorstand, „über die Novellierung des Bafög die Studienordnungen zu ändern.“ Soll die Bafög-Kontrolle nach zwei Semestern praktikabel sein, müßten die Fachbereiche die vorgezogenen „Zwischenprüfungen“ in ihre Studienpläne schreiben. Der Bund „erfindet neue Scheine“, meint Andreas Müller.

Für ihn und seine MitstreiterInnen ist das Ergebnis der neuen Bafög-Regeln klar: Sie höhlen den Kerngedanken des Bafög aus. Und der war, Chancengleichheit zu schaffen, indem man sozial Schwachen das Studium ermöglicht.