Die Fronten verwechselt

■ „Beruf Neonazi“ und die Arroganz „antifaschistischer“ Gesinnungswärter

Anfangs funktioniert die antifaschistische Basisarbeit. Ein junger Mann verteilt Flugblätter vor dem Metropolis. Rufe in der wartenden Menge vorm Kinosaal. Kurz vor sieben am Dienstag abend. Verdienstvollerweise ermöglicht das kommunale Kino erstmals in Hamburg, einen umstrittenen, vom Filmbüro mitgeförderten Film begutachten zu können.

Wer Beruf Neonazi sehen will, muß in den Kino-Verein eintreten und zur Diskussion bereit sein. An der Kasse wird bereits eine Spannung spürbar, die andeutet, daß es auch heißt, Nerven zu bewahren. Das Flugblatt deutet auf einen Grund der Gereiztheit. Unter dem Titel „Keinen Mil(l)imeter Leinwand für faschistische Propaganda!“ finden sich Behauptungen wie: „Die –Auschwitz-Lüge' findet ihre filmische Vollendung auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers.“ Ist das so? Das prüfen zu können, wollen die unterzeichnenden „Flüchtlinge und Migranten aus Hamburg“ dem Publikum nicht erlauben. Andererseits aber mögen es strafmündige, kritische Menschen weder verstehen noch hinnehmen, daß ausschließlich die Diskussion über ein ungesehenes, ungehörtes audiovisuelles Werk gestattet sein soll. Etwa 20 AktivistInnen blockieren den Saaleingang, Lautstärke soll Argumenten Gewicht verleihen.

Um 19.20 Uhr ist das Publikum auf Umwegen auf die Ränge gelangt, die Vorstellung könnte beginnen. Doch Trillerpfeifen fordern ihr Recht, Finger und Zettel überlagern als Schattenspiel das Leinwandgeschehen. Der nachträglich vor den Film geschnittene Kommentar, endend in „Urteilen Sie selbst“, geht unter im Getöse, es kracht und riecht nach Silvester. „Ach, der Böller ist mir ja direkt auf den Fuß gefallen“, beteuert eine Demonstrantin später die Harmlosigkeit des Knalls, aber eigentlich habe ihr diese Aktion auch nicht gepaßt.

Noch etwas später, als die Vorführung zunächst abgebrochen wird und eine Diskussion beginnt, erinnert sich die Filmemacherin Helke Sander, wie die Aufführung eines ihrer Filme vor Jahren heftige Proteste auslöste, da er die Arbeiterklasse spalte, - eine Überschätzung, über die Sander heute noch kichert. Auch damals sei in der gereizten Atmosphäre kein einziger vernünftiger Gedanke zu fassen gewesen. Mit Engelsgeduld gelingt es den Metropolis-Machern Martin Aust und Heiner Roß, Rudimente demokratischer Umgangsformen zu wahren, auch die Polizei soll draußen bleiben. Sechs Streifenwagen drehen vor dem Kino ab, während drinnen eine Demonstrantin bemerkt: „Ich diskutier' doch nicht mit Leuten, die uns die antifaschistische Drecksarbeit überlassen.“

Heiner Roß versucht indessen auf die fremdsprachigen und antifaschistischen Filme im Programm hinzuweisen, darauf ein Wortführer der türkischen Migranten: „Ich will kein Mitleid!“ Helke Sanders Ergänzung, aufgrund der vermeintlich antifaschistischen Proteste in manchen Städten gegen Beruf Neonazi habe RTL nun den Film gekauft, um ihn in die Stuben zu senden, kann die emsigen Besserwisser nicht über die Absurdität ihres Tuns aufklären.

„Ihr Nazi-Enkelinnen und Enkel...“, hebt der zweite Wortführer unbeirrt zu einer Suada an, hatte aber nicht mit dem kurzgeschorenen jungen Mann, der einen St.Pauli-Sticker gegen rechts an der Bomber-Jacke trägt, gerechnet, der sich mit Millerntor-Roar-geprüfter Stimme erhebt: „Du nimmst mir hier meine Freiheit, du beleidigst mich, und dann sagst du noch, –nimm es nicht persönlich'!“

„Es sollte sich niemand als Verlierer fühlen müssen,“ meint Heiner Roß in einer deeskalierenden Pause und bedauert, daß die Demonstranten auf Anonymität beharren, und sich somit auch kein Anknüpfungspunkt für spätere besonnenere Gespräche ergibt.

Mit zweistündiger Verspätung beginnt der Film erneut, flimmert nach einigen Schubsereien vor der Projektionsluke ungestört über die Leinwand. Als um 22.20 Uhr das Licht angeht, fragt Martin Aust: „Waren nun die Aktionen vorher berechtigt?“ „Althans wirkt wie ein sympathischer Spinner“, entfährt es einer Frau, eine andere wehrt ab: „Ich fand den Kerl ekelhaft.“ Die Diskussion über den Film dauert fast bis Mitternacht. Über gemeinsamen, wirksamen Widerstand gegen die hochkochende braune Brühe wird nicht geredet. Das Ergebnis der bundesweiten antifaschistischen Taktik bleibt die TV-Ausstrahlung des umstrittenen Portraits über den redegewandten Volksverhetzer Althans. RTL wird den Film sicher fachkundig mit Werbespots etwa für Telefonsex und Seife kommentieren. Wie hatte ein blauäugiger Demonstrant zu Beginn gebrüllt: „Im Fernsehen kann man jeden Tag die Wahrheit sehen.“ Julia Kossmann