„Stell dich nicht so an“

■ Vorwürfe von Bremer Knackies: Sanitäter diagnostizieren falsch und füllen Zähne

In der Bremer Justizvollzugsanstalt Oslebshausen teilen gelbsüchtige Junkies Essen aus, stellen angelernte Sanitäter Fehldiagnosen, wird die ärztliche Versorgung überhaupt immer schlechter, bespritzen Junkies Nicht-Abhängige mit wassergefüllten Spritzen ... und das ist nur ein Auszug aus dem Klagenkatalog der Häftlinge in der Vollzugsanstalt in Oslebshausen.

Knastdirektor Hans-Henning Hoff sieht das naturgemäß alles ein bißchen anders. Daß Häftlinge mit Junkie-Spritzen gejagt werden sollen, findet allerdings auch er schrecklich, davon habe ihm die Insassenvertretung noch gar nicht erzählt. Die Vorwürfe gegen die ärztliche Versorgung aber, die kann er nicht teilen: Immerhin arbeiten mittlerweile drei Ärzte in der Anstalt, 1988 war es nur einer. Außerdem habe man eine psychosoziale Abteilung aufgebaut mit einem Psychologen, einer Sozialarbeiterin und einer medizinisch-technischen Assistentin mit therapeutischer Erfahrung.

Und was die Essensausgabe betrifft: Zwar teilten auch Junkies Essen aus, aber erstens nicht mit den Händen, sondern mit Kelle oder Zange, und zweitens seien sie vorher ärztlich untersucht worden - allerdings nur einmal.

Fehldiagnosen durch Sanitäter sind Hoff nicht bekannt, sagt er. Aber es komme schon mal vor, daß ein Gefangener nachts den Notarzt verlange, der Sanitäter dann aber sage „Stell dich nicht so an, mit Schmerzmitteln kommst du gut bis morgen früh über die Runden, wenn der Arzt wieder da ist“. Ärzte sind eben nur bis nachmittags um vier Uhr in der Anstalt. Nachts schiebt ein Sanitäter Wache - manchmal auch nur ein angelernter Sanitäter. In tatsächlichen Notfällen, so Hoff, riefen die Sanitäter aber immer den Notarzt.

Besonders empörend finden die Häftlinge, daß Sanitäter sogar Zähne stopfen. Unsinn, meint der Anstaltsleiter: Nur wenn ein Inlay herausgefallen ist und ansonsten der Nerv bloßliegen würde, darf der Sanitäter das Loch provisorisch mit einer weichen Masse stopfen.

„Schaun Sie“, sagt der Anstaltsleiter, „in der Freiheit gehen die Leute fast gar nie zum Arzt, aber kaum sind sie hier, rennen sie dauernd zum Arzt“. Eingesperrtsein bedeute Streß, erklärt er, und diesen Streß und all ihre anderen Probleme wollten die Inhaftierten möglichst radikal wegdrücken - am liebsten mit Medikamenten. „Die Ärzte können ein Lied davon singen, wieviel hier an Mittelchen wie Beruhigungspillen und Schlaftabletten von den Gefangenen gefordert wird, und wieviel tatsächlich nur notwendig wäre.“

Mehr Fürsorge verlangt die Insassenvertretung besonders für die Nicht-mehr- Süchtigen. Versprochen worden sei ihnen eine drogenfreie Wohngruppe, herausgekommen sei gerade mal eine drogenfreiere Zone. „Ich habe nie eine völlig drogenfreie Zone einrichten wollen“, sagt dagegen der Anstaltsleiter, dazu müßte man eine Käseglocke über die Abteilung stülpen. Damit wäre den Insassen nicht geholfen: Wer schützt sie dann im Knasturlaub vor den Versuchungen? „Wir wollen ihnen helfen, aber sie müssen auch selbst lernen, den Versuchungen zu widerstehen.“

Ohnehin hält Hoff nichts von einer Entmischung der Wohngruppen: Junkies, Agressionstäter, Betrüger ... „Das macht die Betreuung dann sehr schwer - und wollten Sie Vollzugsbeamtin in einer Gruppe nur mit Aggressionstätern sein?“ Höchstens, daß man vielleicht mal eine Oldie- Gruppe einrichtet.

Für einen Wunsch allerdings hat auch der Anstaltsleiter volles Verständnis: Daß die Häftlinge nicht schon um 18.30 Uhr in ihren Einzelzellen eingeschlossen werden. „Das ist nicht das, was mit einem erwachsenen Menschen gemacht werden sollte. Aber dazu bräuchten wir eine Schicht mehr, und das geht einfach nicht mit dem Personal, das wir haben.“ Nachts nämlich gehen gerade mal zwei Beamten durch die beiden Haupttrakte mit den insgesamt 270 Häftlingen. cis