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Sitzblockade statt Senatssitz

■ Autoarme Innenstadt erster Klasse beerdigt / Grüne denken an Teilausstieg aus der Koalition

Die Ampel erweist sich als hochinnovatives Koalitionsbündnis: Wenn die Koalitionäre nicht doch noch die Kurve in der Verkehrspolitik kriegen sollten, dann probieren die Grünen möglicherweise was ganz neues. Sie überlegen, aus dem Koalitionsvertrag auszusteigen, aber nicht etwa komplett, sondern nur aus dem verkehrspolitischen Teil. Martin Thomas: „Sollen die SPD und FDP allein die Verantwortung für dieses Desaster übernehmen. Dann müssen wir eben wieder die Sitzblockaden auf der Martinistraße organisieren.“ Der Grund: Nach einer Sitzung des Koalitionsausschusses gestern vormittag ist das umstrittene Konzept „Autoarme Innenstadt“ vom Tisch und die Grä“ben zwischen Grünen auf der einen und SPD und FDP auf der anderen Seite tief wie nie. Insbesondere die SPD habe sich aus den Koalitionsvereinbarungen verabschiedet. Die sieht das allerdings ganz anders. SPD-Verkehrspolitiker Reinhard Barsuhn: „Wir haben nur gesagt, der Senat soll jetzt die Vorgaben setzen.“

Nun solle der Senat entscheiden, und zwar nicht mehr über ein Gesamtkonzept, sondern über Einzelprojekte. So war die Sitzung des Koalitionsausschusses auseinandergelaufen, weil keine Einigung möglich war. Nur ist der Senat nicht minder zerstritten. Auf der einen Seite steht das grüne Konzept Stadt am Fluß, auf der anderen das Innenstadtkonzept des Wirtschaftssenators. Die einen wollen eine Verkehrsentlastung für die Innenstadt, die anderen wittern dabei den Zusammenbruch der City. Und genau dieser Konflikt spiegelte sich auch in der gestrigen Koalitionsrunde.

Das politische Fazit scheint allerdings klar: Vom Modellversuch Autoarme Innenstadt, an dem der Hannoveraner Verkehrsforscher Schnüll seit dem Frühjahr letzten Jahres gebastelt hat, werden nur noch Trümmer übrigbleiben. Das Konzept hatte zwei Stufen vorgesehen: Von baulichen Maßnahmen zum Anwärmen bis zu sechs komplett autofreien Wochenenden in der City. Die sind nun vom Tisch. Die FDP war ohnehin dagegen, nun hat sich auch die SPD verabschiedet. Verkehrsreduzierung sei in der Gesellschaft nicht mehr mehrheitsfähig, erklärten die Sozialdemokraten, und in ihrer Partei schon gar nicht. „Wenn wir das machen, dann steht keiner mehr hinter uns“, befürchtete Reinhard Barsuhn bei der gestrigen Sitzung. Und wollte sich aber schon am Nachmittag nicht mehr daran erinnern. „Das ist bösartig“, kommentierte er die Berichte von Grünen und FDP. Doch die sind sich wenigstens einig in der Erinnerung an die SPD-Position zum Modellversuch. FDP-Geschäftsführer Wolfram Neubrander: „Da ist auch die SPD dagegen.“

Schon im November hatte die SPD-Fraktion ihren Ausstieg aus dem Konzept beschlossen. Daraufhin war der Grüne Dieter Mützelburg stocksauer als Sprecher der Baudeputation zurückgetreten. „Diese Warnung ist offensichtlich nicht verstanden worden. FDP und SPD kündigen einseitig den Koalitionsvertrag“, schimpft die Grüne Karoline Linnert. Sie denkt im Gegensatz zum Teilaussteiger Thomas ganz offen an die komplette Aufkündigung der Ampel. Am kommenden Montag wollen die Grünen auf einer Fraktionsklausur ihr weiteres Verhalten entscheiden.

SPD-Mann Barsuhn kann die Grünen gar nicht verstehen, und die FDP übt sich derweil in Gelassenheit. Wolfram Neubrander: „Zur Zeit wird das hochgespielt.“

Jochen Grabler

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