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: Betroffenheit läuft Amok

„Amok“ und Diskussion, Di., 21.15 Uhr, Südwest 3

In der Tradition osteuropäischer Kulturpflege gab es nun auch im Westen was Neues: „Südwestfunk öffnet den Giftschrank“, meldete selbstlobend der Sender. Und packte neben der seit mehr als einem Jahr unter Verschluß gehaltenen spießbürgerlichen „Taxi Driver“-Variante „Amok“ gleich dazu das Büßergewand aus.

SWF-Fernsehspielchef Dietrich Mack schwor sein Publikum traurig auf ein radikalsubjektives Lynchstück ein: „Es ist seine Sicht und nur seine Sicht!“ Angesagt seien das „Nachdenken, Hinschauen, Ändern“. Dazu wurde dem Film über einen Schwarze erschießenden Vater einer Junkietochter noch ein neuer Vorspann spendiert, in dem er sich widerwillig mit solidarisierenden Faschos konfrontiert sieht, und anschließend gab es die obligate Betroffenendiskussion, die gleich im Sumpf der Drogen-Problematik versackte.

In „Amok“ vermischten sich kruder Milieurealismus (Polizisten suchen in der Kacke nach verschluckten Stoffpäckchen) und unglaublicher Sentimentalität (Drogenberaterin pennt mit dem Vater ihrer Klientin) zu einer dampfenden Mischung, die bis zum Siedepunkt dahinköchelte. Helmut Zierl spielt den dumpfen Macker gewiß ohne sympathische Züge, aber sein Charakter ist für das Anliegen von Autor Norbert Ehry („Ignoranz der Politiker“; „Wie kommt es, daß alle Dämme brechen bei dem sympathischen Menschen?“) einfach ungeeignet, fand dafür kommissarisches Lob und das einer Mutter, die den Tod ihres Sohnes vor 14 Jahren interpretierte („die 68er-Ideologie!“). Die Story paßt bestens ins Jahr 1994, wo Konservative unter dem Motto „Kriminalisiert den Wahlkampf!“ ihre Claims abstecken. Das „heilsame Gift“ (Intendant Peter Voß) vom Mann, der schwarz sieht, ist ein völlig verbogener Psycho-Sieder, über den die Szene sich köstlich amüsieren kann, derweil „problembewußte Zuschauer“ (Voß) in die Röhre schauen – inklusive der dilettantischen Debatte, die zwischen lammfromm („mehr Wärme“) bis hilflos frustwandelte. Proporzgerecht zeigt der SWF am 24. Mai eine ernsthaftere, dafür bereits reichlich abgehangene zweite TV-Premiere: Ulrike Meinhofs „Bambule“ (1970). Ihr brisantes Mädchenheim-Stück hätte in der heutigen Seriosklerose-Landschaft aus „Ärzte“, „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ erst recht keine Chance mehr. Dieter Deul