Die Bauern im Westen verlieren

Landwirtschaftsministerium und die kritische Agraropposition haben ihre Jahresberichte vorgestellt / Öko-Bauern und Ostbauern kommen noch am besten mit der Krise klar  ■ Von Niklaus Hablützel

Berlin/Bonn (taz) – Die Kritiker waren mal wieder schneller als der Minister. Wie gewohnt hatte der Deutsche Bauernverband gestern vormittag seinen Kommentar zur Lage der deutschen Landwirtschaft schon abgegeben, als Jochen Borchert vor der Bonner Presse den Agrarbericht für das Jahr 1993 vorstellte.

Aber zum ersten Mal war auch das Agrarbündnis dabei, der Dachverband biologischer Landwirte, Verbraucherinitiativen und Umweltschutzverbände. Der Agrarbericht der Bundesregierung „verfälsche“ heute den „wahren Zustand der Landwirtschaft“, so lautet der Vorwurf des oppositionellen Verbandes, der seine Pressekonferenz absichtsvoll vor den traditionellen Termin des Landwirtschaftsministers gelegt hatte.

Zumindest ist die Wahrheit in amtlichen Zahlen versteckt, die mitunter schwer zu entschlüsseln sind. Das Landwirtschaftsgesetz verpflichtet die Regierung zu einer jährlichen Rechenschaft über die Ernährungslage der Nation. Das in der Regel etwa 300 Seiten starke Werk ist eine Standardquelle wirtschaftlicher Analysen, unumstritten ist es jedoch schon lange nicht mehr. Das Agrarbündnis bemängelt, daß „ökologische und soziale Aspekte fast gar nicht angesprochen“ seien. Etwa 50 Autoren und Autorinnen wollen den Fehler korrigieren und beschäftigen sich unter anderem mit Fragen der Gentechnik, des Tier- und Pflanzenschutzes. Aber sie analysieren auch die mutmaßlichen Folgen des neuen Gatt-Abkommens.

Die Opposition beruft sich nicht allein auf umweltschützerische Argumente. Denn die hausgemachte Landwirtschaftspolitik habe mit „Markt und Leistung“ nichts zu tun, sie zwinge „zur reinen Subventionsoptimierung“, sagte Gerhard Kattenstroth gestern für das Agrarbündnis und forderte eine grundsätzliche Reform zugunsten einer „flächendeckend umwelt- und sozialverträglichen Landwirtschaft“.

Ungehört verhallt der Ruf nicht mehr. In den neuen Bundesländern wächst der Anteil ökologischer Höfe, die zum Teil sogar Flächen von über 1.000 Hektar bewirtschaften. Um 2,6 Prozent konnte die kleine Minderheit der Biobauern ihr Einkommen im letzten Jahr steigern – auch das vermerkt der offizielle Bericht. Der Durchschnitt der konventionell anbauenden Landwirte mußte dagegen eine Einbuße von 6,3 Prozent hinnehmen.

Mehr als zehn Prozent weniger Einkommen als im Vorjahreszeitraum stehe damit real zur Verfügung, rechnet der Bauernverband vor, in diesem Jahr stehe sogar ein Verlust von 15 Prozent bevor. Die Prognose wird vom Ministerium bestätigt. Ein neues Rezept gegen die Verarmung hat der Traditionsverband jedoch nicht vorzuschlagen: „Kürzungen der Agrarhaushalte von Bund und Ländern“ kämen nicht in Frage, Preissenkungen innerhalb der EG seien strikt abzulehnen, für „währungsbedingte Verluste“ im EG-Subventionssystem müßten zusätzliche 550 Millionen Mark bereitgestellt werden, sämtliche Spielräume für staatliche Hilfen, die das Gatt offengehalten hat, seien „auszunutzen“.

Trotz Agrarreform der EG sind im vergangenen Jahr die Landwirtschaftssubventionen um 25 Prozent angewachsen. 16.915 Mark sind nach der Statistik pro Hof ausgezahlt worden, der Durchschnittswert sagt jedoch immer weniger aus: Die ostdeutsche Landwirtschaft hat den Wettlauf um Gewinne und Subventionen schon gewonnen. Das Landwirtschaftsministerium sieht für 1994 voraus, daß sich der „Osten vom negativen Gewinntrend des Westens abkoppeln kann“. Für das frühere Bundesgebiet zeichne sich dagegen „ein weiterer Gewinnrückgang ab“. Hauptursache dafür seien „preisbedingt niedrige Erlöse für Milch, Rinder und Schweine“ – Produktsparten, die bislang als besonders lukrativ gefördert wurden.

Preissenkungen in den Überschußsektoren stecken die Riesengüter des Ostens am leichtesten weg. Die Nachfolgegesellschaften der LPG bewirtschaften Flächen von durchschnittlich 1.173 Hektar. Sie zahlen schlechte Löhne, ihr rechnerischer Gesamtgewinn blieb stabil – und sie sind Meister im Kassieren staatlicher Hilfen: 58 Prozent ihres Gesamteinkommens stammt aus Steuergeldern.

So schnell wird der Geldsegen nicht abbrechen, die Europäischen Partnerstaaten fördern den Aufbau der ehemals sozialistischen Großgüter im deutschen Osten willig mit. Die Europäische Union überweist in den nächsten sechs Jahren 27 Milliarden Mark an Strukturhilfe in die neuen Bundesländer. Jochen Borchert, der seinen väterlichen Hof in Ostdeutschland wieder in Besitz genommen hat, freut sich, daß er aus dem Brüsseler Sondertopf 5,5 Milliarden für „einzelbetriebliche Agrarförderung“, Ausgleichszulagen, Flurbereinigungen und „Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse“ abzweigen konnte.