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Nackte Existenzangst beim DGB-Nord

■ Finanzkrise und Sinnkrise erschüttern den DGB-Landesbezirk Nordmark / Die Gewerkschafts-ChefInnen Karin Roth und Erhard Pumm kontern mit unerschütterlichem Optimismus Von Florian Marten

Aufbruch in eine neue Ära? Existenzbedrohendes Chaos? Der DGB im Norden bietet dieser Tage ein widersprüchlich zu nennendes Bild. Während die norddeutsche DGB-Spitze öffentlich wortgewaltig den Aufbruch beschwört, miesepetert Bundesboß Meyer im Spiegel über das Elend des DGB. Während das Hamburger Abendblatt die kommende Nord-DGB-Chefin Karin Roth als „Atomkraftgegnerin und Frauenpolitikerin“ skeptisch betrachtet, mosert der Winsener Anzeiger böse: „Alles nur Sprüche!“ Während Hamburgs DGB-Kreisvorsitzender Erhard Pumm frohlockt: „Die Krise hat manchmal ganz tolle Folgen!“, befürchten Nordfrieslands Einzelgewerkschaften „das Ende des Arbeitnehmereinflusses in der Region“ und gründen in Sorge um die drohende Auflösung des DGB-Kreises Nordfriesland gleich eine „Initiative für den Erhalt“.

Mitgliederschwund im Osten führte zur Finanzkrise

Während Pumm Karin Roth als Hoffnungsträgerin und Reformerin beschreibt, macht sich in der Ebene B 5 des Gewerkschaftshauses, der DGB-Chefetage, herber Unmut breit, der im bitterbösen Spitznamen „Stalina“ für die Ex-Stamokaplerin Karin Roth gipfelt.

Fest steht immerhin: Die Lage ist bedrohlich ernst. Voreilige Großinvestitionen in den neuen Bundesländern und ein dramatischer Mitgliederschwund, vor allem im Osten, haben den DGB in eine beispiellose Finanzkrise gestürzt. Innerhalb der nächsten beiden Jahre muß der Gewerkschafts-Überbau 20 Prozent seines Personals abbauen. Der DGB-Landesbezirk Nordmark ist mit 2,4 Millionen Mark Einsparvorgabe überproportional betroffen. In einem internen Reformpapier des Bundesvorstandes wird die DGB-Spitze deutlich wie nie zuvor. Unter dem Punkt „Anpassungserfordernisse für den Deutschen Gewerkschaftsbund“ findet sich die unmißverständliche Selbsteinschätzung: „Der Deutsche Gewerkschaftsbund muß sich grundlegend wandeln.“

Damit nicht genug: In den Einzelgewerkschaften häufen sich die Stimmen, die eine weitergehende Schwächung des DGB fordern, der als Dachverband, politische Außenvertretung und zuständig für den gewerkschaftlichen Rechtsschutz bislang 12 Prozent der Mitgliedseinnahmen von den Einzelgewerkschaften erhält. Bedrohlich für alle Gewerkschaften auch die Strukturkrise ihrer Mitgliedschaft: Die – überalterten – Gewerkschaftsmitglieder repräsentieren die Arbeitswelt der 50er Jahre (männliche Arbeiter in Großbetrieben traditioneller Industrien), während die Arbeitswelt der 90er Jahre unaufhaltsam Richtung Kleinbetriebe differenzierter Dienstleistungsformen driftet.

Davon unbeeindruckt steigt morgen im festlich geschmückten Sachsenwald-Hotel von Reinbek, nicht weit von Altkanzler Bismarcks bewaldeten Latifundien, eine gewerkschaftliche Krönungszeremonie der außergewöhnlichen Art. Die „15. ordentliche Landesbezirkskonferenz“ der knapp 800.000 Gewerkschaftsmitglieder des DGB Nordmark kürt erstmals eine Gewerkschaftskönigin. Karin Roth wird – traditionsgemäß ohne Gegenkandidatin – von den Delegierten der Einzelgewerkschaften auf den Thron gehoben. Die mitgliederstarken und mächtigen Großgewerkschaften IG Metall und ÖTV stellen dabei die mit Abstand größten Stimmbataillone.

Die DGB-Gewerkschaften erwartet diesmal Besonderes. Der sonst so profane Wahlakt wird veredelt durch hochrangige Gäste und anspruchsvolle Themen: Arbeitgeber-Boß Tyll Necker, die Länder-ChefInnen Heide Simonis und Henning Voscherau sowie DGB-Bundes-Vize-Chefin Ursula Engelen-Kefer debattieren über „Solidarität und Gerechtigkeit“. Die sicherlich aufmerksamen ZuhörerInnen dürfen sich auf tiefschürfende Bemerkungen zu „europäischer Regionalpolitik“, „sozialem Dialog“ und „ökologischem Umbau“ freuen. Auch die „Neuen Wege der Solidarität“ wollen Erwähnung finden.

Den verschnarchten DGB auf Vorderfrau bringen

Der überfällige Abtritt des überforderten Ex-Nordmark-Chefs Klaus-Peter Gehricke hat, so scheint's, den Weg frei gemacht für eine neue Ära des norddeutschen DGB, dessen markiger Beiname „Nordmark“ die Grenzen jenes regionalpolitisch überfälligen Nordstaats von Nordniedersachsen bis Flensburg abgedeckt.

Mit großen Vorschußlorbeeren und Hoffnungen bedacht, hatte Norddeutschlands mächtigster Gewerkschaftsführer, IG-Metall- Bezirkschef Frank Teichmüller (sein Reich reicht gar von Emden bis Wolgast, Papenburg bis Flensburg), Karin Roth 1992 nach Hamburg geholt. Die Metallerin sollte den verschnarchten und verkrusteten DGB auf Vorderfrau bringen. Ex-Polizist Klaus-Peter Gehricke roch den Braten und schaute sich, in Sorge vorzeitig abgesägt zu werden, nach einem einträglichen Vorruhestandsposten um. Er wurde, zur Erleichterung einflußreicher Hamburger Einzelgewerkschaftsfürsten, recht schnell fündig: Dem passonierten Autofahrer gelang es, sich den Vorsitz des gewerkschaftseigenen Automobilclubs ACE zu sichern.

Kronprinzessin Roth übernahm so schon im Juni 1993 die kommissarische Leitung des DGB Nordmark, obwohl sie auffällig betont: „Ich bin nicht nach Hamburg gekommen, um Vorsitzende zu werden“. Sie wechselte, so bekannte sie der taz, „von der starken IG Metall zu einem DGB, der sicherlich nicht in aller Munde ist“. Denn: „Ich kannte die Schwächen und Chancen des DGB“, einer Organisation, die von den Einzelgewerkschaften gegenwärtig eher wie eine lästig-überflüssige Marketingabteilung mit Service-Aufgaben betrachtet wird. Der DGB, so weiß Chefin Roth, muß dringend „politisches Profil“ gewinnen, um als „politische Vertretung der Einzelgewerkschaften“ einen nachdrücklichen Einfluß auf die aktuellen Herausforderungen von Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Gesellschaft und Sozialsystem zu nehmen. Karin Roth will dem DGB „neue Arbeitsformen“ beibiegen und mit den Landesregierungen in Hannover, Hamburg und Kiel in einen regionalpolitischen Dialog eintreten, der den gewerkschaftlichen Einfluß auf die Wirtschafts- und Strukturpolitik im deutschen Norden ausbaut.

„Hofberichterstattung erwarte ich nicht“

Erhard Pumm, als Hamburger DGB-Chef Herrscher über Deutschlands größten DGB-Kreis und damit wichtigster Untergebener von Karin Roth, ist von seiner neuen Vorgesetzten mittlerweile schrill begeistert und das nicht nur, weil sie ihn an den Geschäftsführersitzungen auf Bezirksebene teilnehmen läßt: „Karin Roth ist eine dynamische, kreative, unkonventionelle, bewegliche und entscheidungsfreudige Frau.“ Damit nicht genug: Die frauenbewegte AKW-Gegnerin will die Medienpräsenz des DGB pushen (“Hofberichterstattung erwarte ich nicht“) und die gewerkschaftliche Jugendarbeit in Schulen und Hochschulen hineintragen. Roth: „Ich bin ein prozeßorientierter Mensch, der Menschen zuhört.“ Und: „Menschen müssen wieder Verantwortung übernehmen, es muß wieder Spaß machen, beim DGB mitzumachen.“ Die MitarbeiterInnen der DGB-Zentrale am Besenbinderhof vermitteln einen ganz anderen Eindruck: „Hier geht die nackte Existenzangst um. Angestelltensekretäre werden gegen Kreisvorsitzende ausgespielt, Kreisvorsitzende gegeneinander aufgehetzt. Es fehlt jedwedes Konzept für Inhalt, Organisation und Arbeitsplatzstruktur des zukünftigen DGB.“ Karin Roth kann diesen Unmut nicht verstehen, setzt sie doch darauf, das grausame Sparpaket (fast 30 Prozent der 144 DGB- Arbeitsplätze im Norden) „im Dialog“ mit den Betroffenen und „nach Möglichkeit ohne Kündigungen“ durchzuziehen. So werden am 11. Februar die noch 13 norddeutschen Kreisvorsitzenden zum kollektiven Rapport erwartet. Sie sollen berichten, welche „Kernaufgaben“ der DGB in Zukunft noch bewältigen kann. Im März soll dann eine zweite Dialogrunde stattfinden. Spätestens im Mai aber „wird der Bezirksvorstand entscheiden“.

Für Karin Roth steht allerdings schon heute fest: Konzentration der Kräfte bedeutet Zentralisierung. So soll die Landesbezirksverwaltung auf Kosten der Kreise gestärkt werden. Die bislang 13 Kreise werden voraussichtlich auf 7 halbiert und personell auf den Kreisvorsitzenden und jeweils eine MitarbeiterIn ausgedünnt. So soll beispielsweise Husum in Zukunft von der Ostküste aus betreut werden. Es gelte in Zukunft vor allem, so Roth, „die politischen Strukturen, vor allem die jeweilige Landespolitik, zu bedienen“. Der DGB sei schließlich „nicht für die Mitgliederbetreuung“ da, dies sei „Sache der Einzelgewerkschaften“.

Der DGB kann nicht per Sprechstunde vor Ort sein

Bei der aktuellen Finanzlage könne der DGB nicht per Sprechstunde und Büro in der Fläche präsent sein. Roth: „Wir hätten natürlich auch sagen können: Wir machen den Landesbezirk klein und schicken alle in die Fläche. Diese Variante werde ich aber nicht mitmachen“. In der Zentrale am Besenbinderhof wird die Angestelltenarbeit gestrichen, ansonsten sehen Pumm und Roth in verstärkter Zusammenarbeit zwischem Groß-Kreis Hamburg und Landesbezirk erhebliche „Synergieeffekte“. In der Fläche und den kleineren Kommunen dagegen sollten die ehrenamtlichen DGB-Mitglieder wieder verstärkt Flagge zeigen.

Über dem Sparen wird freilich auch die inhaltliche Arbeit nicht vergessen. Getreu des neuen Bewußtseins für die zentrale Rolle der Wirtschafts- und Strukturpolitik hat sich der DGB-Landesbezirk Nordmark kompromißlos für die Realisierung der Küstenautobahn A 20 ausgesprochen. Jene Umweltverbände, für die Roth nach eigenem Bekunden einst „die Öffnung der IG Metall hin zur grünen Bewegung“ einleitete, sind davon wenig erfreut.

Sie kritisieren – unisono mit Hamburgs kundigem Ex-Umweltsenator Jörg Kuhbier –, die A 20 werde eine vernünftige Güterverkehrsstruktur (Küstenschiff & Schiene) auf Jahrzehnte hinaus verbauen und unabsehbare Schäden anrichten. Roths Konter: „Auch der Osten hat Anspruch auf unseren tollen Infrastrukturstandard.“

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