„Soll ich Kinder einsperren?“

■ Jugendrichter weigert sich, einen 15jährigen Libanesen in U-Haft zu nehmen

Heulend saß der 15jährige Mohammed am Mittwoch vor dem Jugendrichter Ernst von Schönfeldt. Mohammed gestand alles. Am Tag zuvor war er festgenommen worden, als er zusammen mit einem 17jährigen im Fahrerhaus eines Lkw herumwühlte. Geschnappt hat ihn die Ermittlungsgruppe Intensivtäter. Die schleppt seit einer Woche einen Halbwüchsigen nach dem anderen aus der libanesisch- kurdischen Clique vors Jugendgericht und legt den Richtern jeweils eine Sammlung von Verdächtigungen vor.

Der Staatsanwalt ließ sich in Mohammeds Fall beeindrucken und beantragte sofortige U-Haft. Das bringt die Bremer Jugendrichter in Rage. „Das ist eine Zumutung, einen 15jährigen in die U- Haft zu sperren, wo schwere Jungs sitzen, wo Drogen sind - wir sind doch nicht die Büttel für jahrelang versäumte Sozialarbeit“, schimpft Jugendrichter von Schönfeldt. Längst hätte die Sozialbehörde eingreifen können. Schließlich habe man die Jugendämter von jedem einzelnen Verfahren benachrichtigt. Aber jetzt, wo die Kaufleute klagten, jetzt jage die Sondergruppe Intensivtäter die Kinder zusammen.

Gerade SozialdemokratInnen hätten immer gefordert, keinen unter 16 im Knast einzuschließen, sagt der Richter erbost, und nun stünden sie vor ihm und forderten: Ab in den Knast! Eigentlich stecken die Bremer Jugendrichter 15jährige nur in absoluten Ausnahmefällen in U- Haft - wenn einer zum Beispiel keinen Wohnsitz hat oder sich nachweislich bereits einem Verfahren durch Flucht hat entziehen wollen.

Nicht, daß von Schönfeldt die Taten der Kinder und Jugendlichen entschuldigt - aber richtige Gewalttäter, als die sie öffentlich dargestellt würden, seien sie keinesfalls. „Das sind kleine zarte Jüngelchen, die sicherlich ein gewissen Gewaltpotential in sich tragen - das besteht aber darin, daß sie treten, wenn sie gegriffen werden.“ Dem kann der Jugendgerichtshelfer Olaf Emig nur beipflichten: „Das geht doch auch nicht geräuschlos ab, wenn deutsche Cliquen von Kaufhausdetektiven gestellt werden - das ist ein Schieben und Zerren.“

Jugendrichter von Schönfeldt hat den 15jährigen Mohammed also wieder laufen lassen - mit der Auflage, sich ohne Begleitung eines Erwachsenen nicht mehr in der City sehen zu lassen und zur Schule zu gehen. Und vom Amt für Soziale Dienste hat der Richter eine intensive Betreung eingefordert.

Doch die Jugendbehörde sieht die Betreuung der libanesisch-kurdischen Jugendlichen nicht als ihre Pflichtaufgabe. Die Familien sind nämlich ausländerrechtlich nur geduldet, erklärt Wolfgang Beyer, Sprecher der Jugendbehörde. Damit hätten sie auf vieles, zum Beispiel Sprachkurse, keinen Anspruch. „Was soll man denen auch anbieten? Eine Ausbildung zum Beispiel ist verboten, weil es keine Arbeitserlaubnis gibt.“

Und überhaupt: Wer würde die Betreuung denn zahlen? Den derzeit noch 60 festen Leuten in der ambulanten Jugendhilfe könne man nicht auch noch diese Arbeit aufbürden, sagt der Pressesprecher, zumal sie ohnehin bald auf 45 Leute zusammengestrichen werden sollen. Außerdem befürchtet man im Sozialressort, daß Finanz- und Wirtschaftssenator diese Arbeit dann als „Luxusförderung“ geißeln könnten. Einzig in Kattenturm ist bislang die Betreuung einer libanesischen Clique geplant.

Zu den Cliquen Kontakt zu bekommen, das hält auch Jugendgerichtshelfer Olaf Emig für wesentlich erfolgversprechender, als einzelne Jugendliche rauszubrechen und in U-Haft oder in geschlossene Heime zu bringen. Am besten mit einem kurdisch-libanesischen Jugendarbeiter. Der wisse dann auch, an welchem Ehrbegriff er die Jungs packen kann. Christine Holch