33 Mauerbrocken auf Odyssee

■ Gestern hat das Tiefbauamt Reste der Berliner Mauer vom Potsdamer Platz entfernt und zwischengelagert / Was in Zukunft mit den steinernen Dokumenten passieren soll, weiß kein Mensch

Über ein halbes Jahr hat Erich Stahnke für den Erhalt der 33 losen Mauerteile am Potsdamer Platz gekämpft. Gestern mußte er selbst Hand anlegen beim Abtransport der Mauerreste und der Container, die einst den Eingang zur WMF- Disco gebildet hatten.

Sein Gemütszustand schien am Nullpunkt angelangt zu sein, als er mit gefrorenen Fingern den Haken des Krans an einem der Container befestigte. Jetzt stehen die Mauerteile auf dem Nachbargrundstück, das Diepgen der Firma Sony versprochen haben soll. Lange werden die porösen Streitobjekte dort auch nicht stehen können. Doch die Auseinandersetzung zwischen Stahnke und dem Tiefbauamt, das das Areal am Potsdamer Platz wegen zukünftiger Bautätigkeiten leergeräumt haben wollte, ist vorerst zu Ende.

1990 übernahm Stahnke die Nutzungsrechte an dem Gelände von den Grenztruppen der DDR. Kurz darauf gründete er die private „Arbeitsgemeinschaft Potsdamer Platz 1“ mit dem Ziel, das Gelände „lebendig zu nutzen“. Ziemlich lebendig ging es bis vor einem Jahr im WMF zu. Später konnten sich hier, dank Stahnke, vergnügungssüchtige Touristen beim Bungee-Jumping zwischen die Mauerteile stürzen. „Man sollte die private Initiative Stahnkes honorieren“, sagte die Abgeordnete Michaele Schreyer (Bündnis 90/Grüne) der taz. Mit seiner Arbeitsgemeinschaft habe Stahnke dazu beigetragen, daß Berlin zur Topreiseadresse für Jugendliche avanciert sei.

Weghaben will die Mauerreste offiziell niemand. Bis auf Schreyer setzte sich jedoch in der Schlußphase des Streits mit dem Tiefbauamt niemand für ihn ein. Der stellvertretende Leiter des Tiefbauamtes, Michael Pladeck, hat nicht unrecht, wenn er sagt, Stahnke habe immerhin genug Zeit gehabt, sich um einen anderen Platz für die Mauerbrocken zu kümmern. Stahnke sieht aber nicht ein, wieso er den Platz räumen soll: „Alle Argumente des Tiefbauamts, die für eine Räumung des Geländes sprechen, konnte ich entkräften.“ Das Argument des Tiefbauamts, man brauche das Areal für Anlieger- und Baustellenverkehr, erscheint jedoch insofern nicht ganz dumm, als in nächster Zeit am Potsdamer Platz der Regional- und Fernbahntunnel gebaut wird. Über den Baubeginn hat das Tiefbauamt die Ausschüsse aber noch nicht informiert.

Was jetzt konkret mit den Mauerstücken geschehen soll, weiß Stahnke selbst noch nicht. Bis zur letzten Sekunde versuchte er, den Abtransport der Mauerteile zu verhindern. Da er sie bis gestern nicht selbst weggebracht hatte, beauftragte das Tiefbauamt – auf Stahnkes Kosten – eine Firma für die Räumaktion. Schließlich rückte Stahnke doch noch mit eigenem Tieflader an, um einen Abtransport in Richtung Potsdam zu umgehen. In Berlin habe man keinen geeigneten Platz für das Mauerwerk gefunden, ließ das Tiefbauamt verlauten.

Die Abgeordnete Schreyer sähe die Mauerteile gerne in der Nähe des Potsdamer Platzes, wo Unternehmen wie Mercedes und Mitsubishi bauen: „Hier wird jetzt alles ganz schnieke, und deshalb sollte an dieser Stelle ein Zeichen gesetzt werden, das zeigt, wie die Mauer Berlin durchschnitten hat.“ Die Mauerstücke sollen keine Barriere darstellen, sondern „Teile, auf die man buchstäblich stößt“. Annabel Wahba