CDU will sechs Spuren im Straßentunnel

■ Nach Stau-Gutachten spricht Verkehrsverwaltung von „logischer Konsequenz“ / SPD glaubt an Wahlkampf-Gag

Hand in Hand drängen CDU und Verkehrsverwaltung auf eine wesentliche Änderung der Straßenplanung. „Die Dimension des Tunnels steht zur Disposition“, sagte der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion gegenüber der taz. Rainer Giesel reagiert damit auf die Ergebnisse einer Studie im Auftrag der Bauverwaltung, nach der Autofahrer am Potsdamer Platz und im geplanten Straßentunnel am Tag stundenlang im Stau stehen werden. „Bisher ist es aber aus ideologischen Gründen nicht möglich gewesen, mit dem sozialdemokratischen Partner das technisch Machbare zu planen“, griff Giesel die SPD an. Auch die Verkehrsverwaltung fordert auf Grund des Gutachtens eine neue Debatte. „Es ist verkehrspolitisch die logische Konsequenz“, sagte Pressesprecher Tomas Spahn, „den Tunnel zu verbreitern.“

Der 2,5 Kilometer lange Tunnel, der den Potsdamer Platz mit der Invalidenstraße verbinden soll, war bislang vierspurig geplant. In beiden Richtungen soll es zusätzlich einen Standstreifen geben. Baubeginn für die offiziell 600 Millionen Mark teure Betonröhre soll Mitte 1995 sein. Damit es zu keinen Verzögerungen beim Bau des Regierungsviertels kommt, muß der Tunnel bis Herbst 1998 fertig sein. Deshalb drängte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Volker Liepelt, gestern auf eine „schnelle Diskussion“. – „Lieber vier Wochen umplanen als sich zehn Jahre lang ärgern“, sagte Liepelt weiter.

Mit dem Vorstoß aus Verwaltung und Partei droht eine wesentliche Koalitionsvereinbarung zu platzen. Die SPD hatte dem Tunnel nur unter der Bedingung zugestimmt, daß die CDU von den alten Planungen einer Westtangente Abstand nimmt, die Schöneberg über Tiergarten mit dem Wedding verbinden sollte. Der Fraktionssprecher der SPD, Hans-Peter Stadtmüller, schloß zwar eine Diskussion nicht aus, aber das Ergebnis sei jetzt schon klar: „Einen sechsspurigen Tunnel wird es nicht geben.“ Wer glaube, mit einer unterirdischen Autobahn die Verkehrsprobleme lösen zu wollen, „hat überhaupt nichts begriffen“. Er halte die Idee einer Verbreiterung des Tunnels für vorgezogenen Wahlkampf, mit der der Koalitionspartner nur „seine Klientel“ bedienen wolle.

In dem Gutachten der Bauverwaltung, das der taz vorliegt, heißt es, daß es im Zentralen Bereich selbst dann zu einer Zunahme des Autoverkehrs von 70 bis 80 Prozent komme, wenn vier Fünftel des gesamten Verkehrs durch Bus und Bahn bedient würden. Nach Fertigstellung des Potsdamer Platzes und dem Ausbau der Straßen gebe es stündlich Platz für 28.400 Kraftwagen, doch diesem Angebot würden zu Spitzenzeiten 30.400 Fahrzeuge gegenüberstehen. Von den 330 Millionen Kilometern, die im Untersuchungsgebiet mit dem Auto zurückgelegt werden, könnten 110 Millionen Kilometer nicht schneller als mit Tempo 10 gefahren werden. Alleine der klimarelevante Ausstoß von Kohlendioxid aus Automotoren werde sich verdoppeln. Der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) forderte gestern deshalb den Stopp der Planungen. Die Argumentation, der Tunnel bringe verkehrliche Entlastung, sei zusammengebrochen, meinte Annette Nawrath vom BUND. Die Baukosten seien nur die Spitze des volkswirtschaftlichen Schadens. Dirk Wildt