Die Zeit des Lummelns Von Claudia Kohlhase

Es gibt einfach Zeiten, da bleibt man sitzen. Wenn man nicht überhaupt schon liegengeblieben ist. Da geht morgens der Mond auf, da geht dem Wecker der Hut hoch, da kräht kein Wasserhahn nach dir, obwohl reihum längst alle Nachbarn gurgeln.

Es ist die Zeit, da du dir überlegst, ob der Müllmann eigentlich jemals deine netten Mülleimer- Aufkleber bemerkt. Die Zeit, da du über die Anschaffung von manhattanhohen CD-Ständern nachdenkst. Die Zeit, da du Möhren verzehren würdest, wenn du welche hättest. Kurzum: es ist die Zeit der zagen Zäsur.

Manche sagen, daß es sich dabei um die berühmte verkehrte Welt handelt, aber es ist natürlich die eigentliche. Man könnte diese Zeit die Zeit des Lummelns nennen und so lange Mandarinen oder Orangen essen, bis alles vorbei ist. Das soll sowieso gut sein. Man könnte auch darauf warten, daß die Eisdiele wieder öffnet und man endlich wieder reelle Sorgen hat, also ob's heute Pistazie, Zitrone oder Waldmeister sein soll – wenn's Waldmeister noch geben würde.

Rentner gehen in solchen Fällen spazieren und verstopfen die Aussicht mit ihren schwermütigen Hüten oder haben ein Herz für Enten. In seltenen Fällen kommt dann schon mal ein Hund gelaufen und versteht alles. Aber meistens eben nicht.

Zur Not könnte man Zuflucht zur Weltlage nehmen und wäre so fix aus dem eigenen Schneider. Aber wo hört der eigene Schneider auf und fängt der fremde an? So eine Frage also lieber nicht an so einem Tag, einem Tag des Lummelns.

Erfahrene Lummler berichten, daß an solchen Tagen zu Hause geblieben werden sollte und eventuell 27mal Mahlers Fünfte gehört werden kann, speziell das Adagietto, das auch Banausen verstehen, weil es sehr langsam ist und etwa elf Minuten dauert, bei Karajan zwölf. Außerdem ist es tröstlich, daß man bloß im Film daran stirbt – jedenfalls Eschenbach in Venedig.

Wer Glück hat, dem geht an solchen Tagen die Sonne oder irgendeine Erkenntnis auf, so daß sich doch noch alles gelohnt hat. Wer besonderes Glück hat, wird krank und hat also einen Grund. Die ohne Grund müssen zusehen, daß sie in den Abend kommen. Wer allerdings gegen 16 Uhr noch schnell irgend etwas Sinnvolles anstrebt, sollte das seinlassen, es nützt nichts: Der Tag ist beleidigt und segelt lieber vor Siegerküsten. Jetzt muß natürlich noch zu Abend gegessen werden. Da empfehlen sich Wurst und Käse, so was stabilisiert, und man erhält von sich den Eindruck, als sei man sich gewachsen oder alles gar nicht so schlimm. Das geht mit Pudding beispielsweise nicht so gut. Nachts kann man dann spätestens ins Bett gehen wie alle Leute und liegt also wieder auf Normalnull.

Wenn man genügend Abstand zum Lummeln gewonnen hat, kann man sich fragen, woher alles kam, vielleicht, daß man zuwenig Zitronen ausgequetscht hat. Vielleicht aber auch, weil man durch die eigene Rasterfahndung gerutscht ist. Womöglich ist alles auch bloß Quatsch und die Zeit des Lummelns einfach so ähnlich wie die Zeit des Molchens, von der auch niemand Genaueres weiß. Am Ende ist es eine unerlöste Form des Winterschlafs, zuzüglich einer verrutschten Kontemplation, gerne sonntags.