Exiliraner sind nirgends in Sicherheit

■ Iranische Geheimdienstler machen seit der Revolution vor 15 Jahren rund um den Globus Jagd auf Dissidenten

„Die Bedrohung von Salman Rushdie ist wenigstens bekannt“, seufzt Mansur Bayatzadeh. Das Vorstandsmitglied der „Organisation Iranischer Sozialisten“ (OIS) lebt seit Jahren im Exil in der Bundesrepublik. „Früher haben wir gegen das Schah-Regime gekämpft, und jetzt kämpfen wir wieder gegen das Regime. Wir haben nichts erreicht.“ Zu dem Gefühl der Aussichtslosigkeit kommt bei Bayatzadeh, wie bei vielen Exiliranern, die Furcht, von einem Todeskommando der iranischen Führung ermordet zu werden.

Iranische Oppositionelle müssen im Ausland um ihr Leben füchten. Am 4. Januar wurde in der türkischen Stadt Curom das Führungsmitglied der „Kurdischen Demokratischen Partei Irans“ (KDPI), Taher Kermanj, erschossen. Knapp zwei Wochen später, am 17. Januar, explodierte in der Stockholmer Wohnung des KDPI- Aktivisten Kamran Hedayati eine Briefbombe. Der Kurde mußte mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

„Oppositionelle und Dissidenten werden sowohl im Iran als auch im Ausland konsequent verfolgt“, heißt es in einer der taz vorliegenden Studie des Bundeskriminalamts (BKA) über die „Aktivitäten des iranischen Nachrichtendienstes in Westeuropa“. „Exponierte Vertreter der iranischen Opposition im Ausland sowie Veranstaltungen unter Teilnahme dieser Personen“ müßten „auch in der Bundesrepublik als im hohen Maße gefährdet angesehen werden.“ Wie zur Bestätigung sagte der Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates Irans, Hassan Rohani, am 29. Januar, die iranische Führung werde nicht zögern, „Zentren konterrevolutionärer Gruppen“ im Ausland zu zerstören.

Mindestens 59 iranische Dissidenten sind seit der Errichtung der Islamischen Republik 1979 jenseits ihrer Landesgrenzen erschossen, erstochen oder in die Luft gebombt worden. Die oppositionellen iranischen Volksmudschaheddin zählten zwischen Dezember 1979 und August 1993 insgesamt 101 „terroristische Operationen“ der iranischen Führung gegen politische Exilanten. Rund um den Globus brachten demnach von Teheran bezahlte Agenten 76 Personen um.

Mit bürokratischer Akribie haben die Volksmudschaheddin ihrer Ansicht nach im Auftrag Teherans ausgeführte Morde und Mordversuche aufgelistet: Die Erschießung des Schah-Neffen Shahryar Shafigh am 7. Dezember 1979 in Paris; die Ermordung des Generalsekretärs der „Kurdischen Demokratischen Partei Irans“ (KDPI) Abdul Rahman Ghassemlou am 13. Juni 1989 in Wien; die Ermordung des Führungsmitglieds der Volksmudschaheddin Kazem Radschavi am 24. April 1990 in der Nähe von Genf; das Abstechen des letzten Premierministers unter dem Schah, Schapour Bachtiar, und seines Sekretärs am 6. August 1991 im französischen Suresnes; die Erschießung des nächsten KDPI-Generalsekretärs Mohammed Sadeq Scharakandi und drei weiterer iranischer Kurden am 17. September 1992 im Berliner Restaurant „Mykonos“.

Aus der Auflistung geht auch hervor, daß die Zahl der Attentate und Attentatsversuche seit dem Tod Ajatollah Chomeinis 1989 nicht ab-, sondern zugenommen hat. Auch die Menschenrechtskommission der UNO und amnesty international verzeichneten seit Beginn der Amtszeit des von westlichen Unternehmern und Politikern als „Pragmatiker“ gepriesenen iranischen Präsidenten Rafsandschani eine Steigerung der Anschläge gegen Exiliraner. In dem letzten, im November veröffentlichten, ai-Bericht heißt es vorsichtig formuliert: Zahlreiche „im Ausland lebende führende Mitglieder iranischer Oppositionsgruppen“ seien unter solchen Umständen ermordet worden, „die den Eindruck erwecken, sie könnten außergerichtlich hingerichtet worden sein.“

Die Aktivitäten iranischer Agenten im Ausland richten sich nicht nur gegen politische Dissidenten, sondern auch gegen religiöse Minderheiten. Im Frühjahr vergangenen Jahres veröffentlichte der Iran-Sonderbeauftragte der UN-Menschenrechtskommission, Galindo Pohl, ein vom religiösen Leiter Irans Ali Chamenei unterzeichnetes Geheimpapier zur „Baha'i-Frage“. Darin wird dazu aufgefordert, die „kulturellen Wurzeln des Baha'i-Glaubens außerhalb Irans anzugreifen und zu zerstören.“ Besonders skrupellos geht die iranische Führung gegen Oppositionelle auf irakischem Territorium vor. Seit dem vergangen Frühjahr beschießen iranische Truppen Lager der iranisch-kurdischen Guerilla, die im von irakischen Kurden kontrollierten Norden Iraks residiert. Sowohl die KDPI als auch die mit ihr konkurrierende KOMALA unterhalten in der Region Stützpunkte, von denen ihre Peschmerga auf iranisches Gebiet vordringen. Die iranischen Truppen antworten mit schlecht gezieltem Granatbeschuß, dem in den letzten Monaten zahlreiche Zivilisten zum Opfer gefallen sind. Vergangenen Herbst beklagte die irakisch-kurdische Regionalregierung, iranische Kampfflugzeuge seien über 100 Kilometer weit in die von den Golfkriegsalliierten eingerichtete Flugverbotszone eingedrungen und hätten die irakisch- kurdische Hauptstadt Arbil überflogen.

Von irakischem Territorium aus agieren auch die sich selbst als „links-islamisch“ darstellenden Volksmudschaheddin. Seit die irakische Führung im Herbst 1990 während der Besatzung Kuwaits diplomatische Beziehungen zum ehemaligen Golfkriegsgegner Iran aufnahm, sehen sich Angehörige der Oppositionsgruppe in Bagdad von iranischen Diplomaten ausgespäht und gelegentlich auch angegriffen. Am Morgen des 6. Oktober 1993 wurde das Volksmudschaheddin-Mitglied Madschid Reza Ibrahimi in einem Bagdader Kaufhaus erschossen. Die Führung der Organisation macht Angehörige der iranischen Botschaft dafür verantwortlich.

In etlichen „Gastgeberstaaten“ stoßen iranische Exilanten auf Sicherheitsbehörden, deren Verhalten gegenüber iranischen Flüchtlingen von Desinteresse bis zur offensichtlichen Kumpanei mit den Häschern aus Teheran reicht. So in der Türkei: Laut ai stehen iranische Asylsuchende in der Türkei unter dem „akuten Risiko, gewaltsam in den Iran zurücktransportiert zu werden.“ Nach einem kürzlich veröffentlichten Bericht der „Internationalen Föderation Iranischer Flüchtlings- und Immigrantenräte“ sollen türkische Polizisten zwölf Iraner in Ankara verhaftet und deportiert haben. Die Innenminister beider Staaten hätten vergangenen September vereinbart, dem jeweils anderen Geheimdienst bei der Jagd auf Dissidenten freie Hand zu lassen.

Auch in Europa müssen Exiliraner Angst haben. Zwischen Weihnachten und Neujahr ließ der französische Premierminister Edouard Balladur zwei Iraner, Ahmad Taheri und Mohsen Scharif Esfahani, nach Teheran ausreisen, die von den Schweizer Behörden als angebliche Mörder von Kazem Radschavi vor Gericht gestellt werden sollten. Die Mißachtung des vorliegenden Schweizer Auslieferungsantrages begründete Balladur mit „Gründen nationalen Interesses“. Dafür, daß es sich bei den Abgeschobenen um Menschenjäger im Dienste Teherans handelt, sprechen unter anderem der taz vorliegende Dokumente des BKA, wonach Taheri und Esfahani im Oktober 1992 das Kölner Büro der Volksmudschaheddin ausgespäht haben.

Koordiniert werden Anschläge zum Teil über die iranischen Botschaften im Ausland. Westliche Geheimdienste wollen die europäische Zentrale des iranischen Geheimdienstes VEVAK in der iranischen Vertretung bei der UNO in Genf ausgemacht haben. Bei der Ausspähung von Exiliranern sind neben Botschaftsvertretern iranische „Geschäftsleute“ beteiligt und – so die Ermittlungen der französischen Behörden im Fall Bachtiar – auch Korrespondenten iranischer Medien.

Wegen des Mordes an Bachtiar und seinem Sekretär 1991 sitzen derzeit drei Iraner und ein Türke in Paris in Untersuchungshaft. Einer von ihnen, Seynal Abedin Sarhadi, arbeitete bei der iranischen Botschaft in Bern und wurde von der Schweiz ausgeliefert. Er soll die Einreise der Attentäter nach Frankreich und ihre anschließende Flucht organisiert haben. Als einer der Organisatoren wird Hossein Scheichattar, ein Berater des iranischen Fernmeldeministers, mit internationalem Haftbefehl gesucht.

An der Vorbereitung und Durchführung von Attentaten sind häufig auch Nichtiraner beteiligt. So soll den Bachtiar-Attentätern ein Türke namens Mesut Edipsoy falsche türkische Pässe und zwei konspirative Wohnungen in Istanbul beschafft haben. In dem Berliner Mykonos-Prozeß müssen sich neben dem Iraner Kazem Darabi – er gilt als Drahtzieher und VEVAK-Agent – zwei Libanesen als mutmaßliche Todesschützen verantworten.

Für viele in der Bundesrepublik lebende Exiliraner bildet dieses seit dem 28. Oktober laufende Gerichtsverfahren den Lackmustest für die Vertrauenswürdigkeit der Regierung ihres Exillandes. Sie fürchten, daß Besucher wie der drei Wochen vor Beginn der Verhandlungen angereiste iranische Geheimdienstchef Ali Fallahian und der Anfang des Jahres in Bonn empfangene Leiter des Auswärtigen Ausschusses im iranischen Obersten Sicherheitsrat, Mohammad Dschavad Laridschani, den Prozeß zugunsten der iranischen Führung beeinflussen könnten.

Zur „Verhandlungsmasse“ könnte dabei das Schicksal von Helmut Szimkus gehören. Der deutsche Ingenieur wurde in Teheran wegen Spionage für den Irak zum Tode verurteilt, das Urteil aber bisher nicht vollstreckt. Iranische Oppositionsgruppen warnen vor einem „Deal“ zwischen Bonn und Teheran, in dem das Leben von Szimkus mit dem Stillschweigen über die Beteiligung iranischer Geheimdienstler an Morden an Oppositionellen „miteinander verrechnet“ werden könnte.

Unmittelbar nach den Berliner Morden warnten Beamte des BKA in der Bundesrepublik lebende Iraner vor weiteren Mordversuchen. BKAler fingen Anfang 1993 vor der Bochumer Wohnung des oppositionellen iranischen Theologen Mehdi Haeri (siehe Interview) einen Besucher ab, der in seiner Tasche ein fünfzig Zentimeter langes Messer und eine Maschinenpistole mit aufgesetztem Schalldämpfer mit sich herum trug. Bei einer anschließenden Visite in der BKA-Residenz in Meckenheim bei Bonn will Haeri eine „Todesliste“ mit den Namen iranischer Oppositioneller gesehen haben. Die Existenz eines solchen Papiers wurde von den Behörden strikt dementiert. Dennoch erhielt Mahmoud Rafi, ein nach Haheris Angaben auf der Liste stehendes Führungsmitglied der Berliner „Liga zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran“ damals Besuch von BKAlern. Sie empfahlen ihm, beim Verlassen der Wohnung die Augen offen zu halten. Seither schauen gelegentlich Polizisten beim Büro der Liga vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Thomas Dreger