■ Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Frauen: Frau geht zurück
Fallende soll der Mensch nicht noch stoßen. Der DGB ist wirklich zu bedauern. Tiefe Wirtschaftskrise, Wandel der Industriegesellschaft und repressive politische Rahmenbedingungen, Orientierungs- und Utopieverlust der Arbeiterbewegung, galoppierender Mitgliederschwund und Finanzdesaster – da vergeht gar das Bedürfnis nach Sarkasmus. Der DGB führt sich selbst besser vor, als alle seine Gegner es vermöchten. Die mühsam verordnete und gerade bewilligte Lifting-Kampagne „Frau geht vor“ führen die DGB-Fürstenmänner bei erster praktischer Nagelprobe dilettantisch als „Frau geht zurück“ vor.
Das Problem liegt ja nicht in der beabsichtigten und überfälligen Reform der DGB-Politik und -Strukturen, nicht einmal in den Finanzkürzungen und Stellenstreichungen. Das Problem liegt in der Unfähigkeit und Unwilligkeit der maßgebenden Kräfte im DGB, sich als Antwort auf veränderte Zeiten etwas anderes als Restauration einfallen zu lassen. Der Automatismus und die von jeglichem Nach-Denken unberührte Normalität, in der dieser Prozeß abläuft, mit dem die Frauen wieder marginalisiert und entmündigt werden sollen, ist fürchterlich.
Da mußten Gewerkschafterinnen, die Frauenbewegung im Rücken, Jahre mit spärlichsten Mitteln und Möglichkeiten gegen Bürokratisierung, Erstarrung und Zentralisierung ihrer Organisation kämpfen, um sie für neue Ansprüche und Ideen zu öffnen. Nun müssen sie sich die Vokabeln „Entbürokratisierung“, „Verschlankung“ und „neue Projektformen“ in den Hals zurückschieben lassen, damit sie das Maul nicht mehr so weit aufreißen können. „Frauenarbeit“ als Querschnittsthema von hochrangiger männer- und allgemeinpolitischer Reichweite und Bedeutung hätte, das weiß heute jeder halbwegs Gebildete, Ausbau statt Abbau eigenständiger und mitgestaltender Rechte verlangt. Doch im DGB scheint sowohl die Vorstellung als auch die Tat zu wirklicher Demokratisierung eine der größten Mangelwaren.
Auch von den Frauen kommt hierzu bislang kein die ganze Organisation umfassender Vorschlag. Die gewerkschaftliche Frauenarbeit steckt selbst in einer Krise und wird, wen überrascht es, in schwacher Konstitution erwischt. Die Angriffe wecken die Gewerkschafterinnen erzwungenermaßen auf, doch ihre bisherigen Reaktionen sind im Kern defensiv. Gleichwohl bieten sie die Chance zur Besinnung. Immerhin tritt das Vorhaben im Moment auf der Stelle. Würde diese Situation genutzt, die Todessehnsüchte des patriarchalen Altmännerklubs, der sich seine emanzipatorische Restbasis bei der Jugend und den Frauen kappt, wären vermutlich schneller als gedacht zu verscheuchen. Mechtild Jansen
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