„Weil die Leute zu eingeschüchtert waren“

■ Südafrikas regierende Nationale Partei versuchte beim Parteikongreß eine Neugeburt / Neues Programm, neue Mitglieder, neue Wähler, neuer Stil – und alte Kandidaten

Johannesburg (taz) – Ein Quintett intonierte die Begleitmelodie eher zaghaft. Der Text wurde zum Ablesen auf eine große Bildschirmwand projiziert. Doch der Kongreß der südafrikanischen Nationalen Partei sang nicht. Nur schleppend kamen den etwa 2.000 Delegierten die Worte über die Lippen. Nach 46 Jahren an der Macht, nach Jahrzehnten der Apartheid sollten sie plötzlich „Nkosi Sikelele“ singen, „Gott segne Afrika“, – die Hymne, die in der Vergangenheit allein Südafrikas Befreiungsbewegungen geschmettert hatten.

Staatspräsident Frederik de Klerk versuchte an diesem historischen Tag seine gewandelte Partei vorzustellen. „Wir sind die neue Nationale Partei für das neue Südafrika.“ In Kapstadt gedachte am Mittwoch Nelson Mandela jenem 2. Februar 1990, an dem seine Organisation, der Afrikanische Nationalkongreß, von de Klerk legalisiert wurde. Der Wahlkampf für Südafrikas erste demokratische Wahlen ist voll entbrannt.

Fähnchen und Musik

Mit den hellen blau-grün-gelben Parteifarben, fröhlicher Musik und fähnchenschwingenden Delegierten scheint die Nationale Partei zwar mittlerweile zumindest äußerlich auch meilenweit von jenem rigiden Zentralismus entfernt, der noch Ende 1990 Erinnerung an faschistische Gruppierungen erweckte. Der Kongreß wurde von David Chuenyane, einem Schwarzen, eröffnet. Und unter den Delegierten befanden sich erstmals zahlreiche nichtweiße Südafrikaner. Aber als die ihn mit Stakkato- Rufen feierten, reagierte de Klerk eher hilflos.

Der Präsident bezeichnete die NP-Kandidatenliste für die Wahlen als „guten Querschnitt aller Bevölkerungsgruppen und der beiden Geschlechter“. Aber die Spitzenpositionen werden von denselben weißen Politikern eingenommen, die einst das Apartheid-Regime und nach 1990 de Klerks Reformprogramm unterstützten. „Wir hätten gerne mehr Kandidaten anderer Bevölkerungsgruppen aufgestellt“, sagte de Klerk am Vorabend des Kongresses, „aber es gelang uns nicht, weil die Leute zu eingeschüchtert waren.“

Laut Umfragen landet die Nationale Partei mit rund 20 Prozent der Stimmen weit hinter dem ANC, dem die Meinungsforscher eine sichere absolute Mehrheit voraussagen. So setzt die NP jetzt auf die wachsende Zahl unentschlossener Wähler. „Die Wahl wird hauptsächlich zu einem Wettkampf zwischen dem ANC und uns“, sagte der Spitzenkandidat der Nationalen Partei, „jede Enthaltung ist daher eine Stimme für den ANC.“ De Klerk schien sich angesichts der Umfragen selbst Mut machen zu wollen: „Dies ist eine Wahl, keine Krönung.“

Konspirative Mitglieder

Aber selbst der 26jährige Schwarze Honest Vikizitha aus Soweto glaubt nicht an solche Sätze. „Diesmal kann der ANC noch gewinnen, aber in fünf Jahren sind wir wieder an der Reihe.“ Der in der Provinz Natal geborene ehemalige Verkäufer sitzt mit zwei schwarzen Kollegen alleine an einem Tisch inmitten des riesigen Saals, in dem die Nationale Partei ihre Delegierten verköstigt. Vor einem Jahr erst hat er sich der NP angeschlossen. „Wir arbeiten wie im Untergrund“, erzählt Vikizitha, „in meinem Stadtteil von Soweto weiß niemand, daß ich bei der Nationalen Partei bin.“

Honest Vikizitha hängte seinen Verkäuferjob, Monatslohn 750 Mark, an den Nagel und wurde ein „NP-Organiser“, Monatslohn 1.250 Mark. „Wir treffen uns in Wohnungen von Bekannten mit maximal fünf Personen“, erzählt er aus dem Alltag seines neuen Berufslebens, „und die Leute fragen uns immer wieder, wie wir nach 46 Jahren Apartheid-Regime die Nats unterstützen können.“ Seine Antwort gehört zu den Standardsätzen aus dem Repertoire von de Klerk: Die Nationale Partei hat sich geändert, sie hat mit Apartheid nichts mehr zu tun; nicht die Ex-Präsidenten Malan und Vorster stehen zur Wahl, sondern de Klerk, er hat Südafrika befreit; die Nationale Partei besitze Erfahrung mit Wirtschaftspolitik; der ANC ist von Kommunisten beherrscht.

„When the saints go marching in“ intonierte die Kapelle kurz vor dem Einzug von Frederik de Klerk in die Kongreßhalle. Südafrikas Studenten singen seit Jahren zur gleichen Melodie einen Text, der in diesen Tagen sicher auch vielen schwarzen Südafrikanern im Kopf herumgehen wird: „How the hell can we believe you“ – „Wie zum Teufel können wir dir glauben“. Willi Germund