: Freilassung von Möller verlangt
■ Lübecker Bürgermeister verlangt eine Neubewertung
Lübeck (taz) – „Ich würde gerne heute hier mit Frau Möller diskutieren“, sagte Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD). Durch die St. Petri Kirche der Hansestadt schallte am Mittwochabend der Applaus von ungefähr 300 Menschen. Sie waren einer Einladung der Besuchsgruppe in Lübeck-Lauerhof gefolgt. „Die Veranstaltung soll dazu beitragen, eine breite Öffentlichkeit für die Freilassung der seit 22 Jahren inhaftierten Irmgard Möller politisch durchzusetzen“, betonte Moderator Norman Paech. Irmgard Möller wurde unter anderem wegen Beteiligung am Anschlag gegen das US-Hauptquartier in Heidelberg zu lebenslanger Haft verurteilt. Jetzt hat sie einen Antrag auf Strafaussetzung gestellt. „Sie ist sehr geschwächt, ihre Augen sind manchmal völlig zugeschwollen“, berichtete Anwältin Anke Brenneke-Eggers. Wie ist der gnadenlose Strafanspruch des Staates zu erklären? „Ich glaube, es ist völlige Hilflosigkeit“, sagte Michael Bouteiller, „Der Staat hat Angst vor einer öffentlichen Diskussion.“ Er ging noch weiter: „Wir könnten von Lübeck aus eine Initiative zum Dialog starten.“
Der Bürgermeister hat nach eigenen Worten erst jetzt erfahren, wie lange Irmgard Möller in Lübeck einsitzt. Er will Kontakt mit ihr aufnehmen. Vor allem die gerichtliche Bestellung von psychiatrischen Gutachtern hat in der Vergangenheit immer wieder zu harten Kontroversen geführt. „Die Strafprozeßordnung fordert die Anhörung eines Sachverständigen bei der Entscheidung über eine Strafaussetzung“, erläuterte Hans- Ernst Böttcher, Präsident des Landgerichts Lübeck, „dort wird aber kein Psychiater vorgeschrieben.“ Wolfgang-Dragi Neskovic, Mitglied im Arbeitskreis sozialdemokratischer Juristen, vermutet: „Mit der Bestellung von Psychiatern soll bewußt eine Hürde errichtet werden, die politische Gefangene nicht nehmen können.“ Dazu Gabriele Rollnik, ehemalige Mitgefangene von Irmgard Möller: „Wir wollten Soziologen oder Politologen als Gutachter, denn wir hatten das Gefühl, daß wir als Forschungsobjekte über die Auswirkungen der Isolationshaft mißbraucht werden sollen.“
Das Signal, das an diesem Abend von Lübeck ausging, war deutlich. Die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen fordern die sofortige Freilassung von Irmgard Möller. „Als Irmgard Möller vor 22 Jahren verurteilt wurde, sah die Gesellschaft ganz anders aus“, meinte Niels Hasselmann, Probst des Kirchenkreises Lübeck, „sie muß jetzt eine Chance bekommen.“ Irmgard Möller selbst hat einmal gesagt: „Was sich verbessert kommt immer viel zu spät und ist immer viel zuwenig.“ Torsten Schubert
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