: Stadt wehrt sich gegen Nazis
In Detmold wehren sich Stadtverwaltung und eine Bürgerinitiative gegen die „Nationalistische Front“ / Mit Baurecht gegen Neonazis ■ Von Bernd Siegler
Das Verbot hat nichts gebracht, weil es halbherzig durchgeführt worden ist.“ Die 31jährige Sissi Ahle aus Pivitsheide bei Detmold bekommt Woche für Woche mit, daß sich im Haus in der Quellenstraße 20 viel tut. Autos aus dem ganzen Bundesgebiet stehen vor der Tür, Neonazis werfen mit Steinen auf Passanten oder trainieren im Wald, mal wird ein großes Plakat „Rudolf Heß lebt — Vorbild für Deutschland“ im Garten aufgestellt, mal findet eine „Geburtstagsfeier“ mit über 200 Leuten statt. Das Haus gehört Meinolf Schönborn, dem Chef der seit November 1992 verbotenen „Nationalistischen Front“. „Die treten kackfrech auf, weil sie wissen, daß sie nichts zu befürchten haben“, betont Sissi Ahle.
Ahle ist Mitglied der seit April 1989 bestehenden „Bürgerinitiative gegen ein Nazizentrum in Pivitsheide“. Damals verkaufte die militante NF ihr Haus in der Bleichstraße in Bielefeld und erwarb die ehemalige Gaststätte „Tannenhof“ in der Quellenstraße. Lehrer, Handwerker, Sekretärinnen, Fabrikarbeiter und eine Pastorin schlossen sich daraufhin spontan zu der Initiative zusammen, beobachteten die Aktivitäten in dem Haus und hofften, daß mit dem durch das Bundesinnenministerium ausgesprochenen Verbot der Spuk ein Ende haben würde.
Doch die Polizeibehörden scheinen das Verbot nicht so genau zu nehmen. Bereits kurz danach bekam Schönborn seine beschlagnahmten NS-Devotionalien, seine Schreckschußwaffen und später seine Computeranlage wieder zurück. Seine wichtigste Einnahmequelle, der Klartext-Verlag, über den Schönborn Reichskriegsflaggen, Bücher und Videos verschickt und neue „Kameraden“ rekrutiert, besteht weiter. Bestelladresse, Telefon und Faxanschluß sind identisch mit denen der verbotenen Nationalistischen Front.
Unter immer wieder neuen Namen formieren sich Nachfolgeorganisationen der NF. „Förderkreis Junges Deutschland“, „Propagandaverteilerkreis“ oder „Jungsturm“ – der Kontakt läuft immer über die Quellenstraße in Pivitsheide. Im Osten dann das „Förderwerk Mitteldeutsche Jugend“, die „Sozialrevolutionäre Arbeiterfront“ oder die „Direkte Aktion“ – Kontaktanschrift ist immer das ehemalige NF-Postfach im brandenburgischen Velten. Schönborn hat sich den Aufbau „von vielen kleinen unabhängigen nationalistischen Zellen“ zum Ziel gesetzt.
Da es mit polizeilichen Mitteln anscheinend nicht gelingt, die Aktivitäten von Schönborn und seinen Gesinnungsfreunden einzudämmen, geht die Stadtverwaltung Detmold inzwischen andere Wege. Dort versucht man die NF an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen: am Geld. Da das Haus in der Quellenstraße in einem Wohngebiet liegt, darf es nur zu Wohnzwecken verwendet werden, nicht aber als Versand- oder Parteizentrum. „Wir machen das über das Bauordnungsrecht“, betont Siegfried Maurer (Name von der Red. geändert) von der Detmolder Stadtverwaltung. Bei mehreren baurechtlichen Überprüfungen wurden eine „fehlerhafte Nutzung des Gebäudes“ festgestellt und Zwangsgelder verhängt.
Bei jedem Verstoß steigen die Summen, das letzte Zwangsgeld betrug schon 10.000 Mark, bei Hausdurchsuchungen wird dann jeweils die Kasse gepfändet. Zusätzlich hat das Finanzamt Detmold der NF nach einer Steuersonderprüfung einen Zahlungsbescheid in Höhe von 11.000 Mark geschickt.
In seinem neuesten „Bericht zur Lage“ sucht Schönborn nicht nur „Mitarbeiter mit fester nationalistischer Gesinnung“ für seinen Verlag und „Bilder und Anschriften von besonders deutschfeindlichen Staatsdienern“, sondern auch Spenden. „Die Quellenstraße 20 darf nicht fallen. Das Heim ist zum Symbol des nationalen Widerstands geworden.“ Um die Nachbarn freundlich zu stimmen, hat er das Haus verschönert. Es habe nun „einen blütenweißen Anstrich (wie unsere Weste) mit einem käftigen braunen Sockel (wie es sich gehört) erhalten“, schreibt der NF- Chef. Gleichzeitig kündigt er an, in diesem Jahr „selbstverständlich zu Treffen der NEK einzuladen“. Schon im Herbst hatte Schönborn dazu aufgerufen, sog. „Nationale Einsatzkommandos“ (NEK) zum Einsatz gegen „Ausländerverbrecherbanden und kriminelle Linke“ zu bilden. Im Januar 1992 hatte die Bundesanwaltschaft (BAW) daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet. Obwohl Schönborn immer wieder betont hatte, er werde am NEK-Konzept festhalten, hat die BAW das Verfahren klammheimlich am 25. Oktober 93 eingestellt. BAW- Sprecher Hans-Jürgen Förster begründet die Verfahrenseinstellung gegen Schönborn mit den Mangel an Beweisen für eine Gründung der NEKs. „Ich bin nun plötzlich kein ,Terrorist‘ mehr – ein völlig neues Lebensgefühl“, freut sich Schönborn und will nun gemeinsam mit Führungsspitzen der ebenfalls verbotenen „Deutschen Alternative“, „Nationalen Offensive“ und des „Nationalen Blocks“ gegen die Verbote vorgehen.
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