Hauskrach bei den Staatsschützern

■ BKA: Gutachten gegen Gutachten im Haule-Prozeß

Berlin (taz) – Die staatsschutzinternen Händel über den Prozeß gegen die RAF-Gefangene Eva Haule nehmen immer bizarrere Formen an. Als die Bundesanwaltschaft (BAW) in Karlsruhe im Dezember Wind von einem die Angeklagte entlastenden Auswertungsbericht des Bundeskriminalamts (BKA) bekommen hatte (taz vom 20. 1.), bestellten die Ankläger nach taz-Informationen beim BKA umgehend ein ihre Position stützendes Gegengutachten. Sie bekamen es noch vor Weihnachten und lösten damit im BKA eine interne Schlammschlacht aus.

Am 13. Dezember hatte die für die Ermittlungsarbeit zuständige BKA-Abteilung TE 11 einen Auswertungsbericht vorgelegt, wonach zwei Eva Haule zugeschriebene Kassiber „keinen Beleg“ für ihre direkte Beteiligung an dem Bombenanschlag auf die US Air- base in Frankfurt und der Ermordung des jungen GI Edward Pimental im August 1985 darstellen. Damit stand das Verfahren gegen Eva Haule, das seit November 1993 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main läuft, auf der Kippe. Die Anklage stützt sich zentral auf die beiden Kassiber.

Nachdem das brisante TE-11- Papier vorlag, unterrichtete nach den der taz zugespielten Informationen der Leiter der Fahndungs- und Ermittlungseinheiten des BKA, Kriminaldirektor Manfred Dihanich, umgehend den in Karlsruhe zuständigen Haule-Ankläger Oberstaatsanwalt Klaus Pflieger. Der verlangte kategorisch die Rücknahme des TE-11-Berichts oder, falls dies nicht möglich sei, ein Gegengutachten, ebenfalls aus dem Hause von BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert.

Als die für die Pro-Haule-Expertise verantwortlichen Auswerter sich stur stellten, berief Dihanich eine amtsinterne Gegenkommission, die noch am selben Tag ein Gutachten ganz im Sinne der Karlsruher Vorgaben ablieferte. Das schmale Werk (5 Seiten) liegt der taz vor. Zwar seien „schriftliche Unterlagen, insbesondere konspirativer Natur, für sich gesehen häufig unterschiedlich interpretierbar“, heißt es dort. Im Rahmen der „Gesamtbetrachtung“ lieferten die fraglichen Kassiber jedoch „schwerwiegende Indizien“ für eine Mittäterschaft Haules an dem Anschlag. Die Bundesanwaltschaft brachte anschließend die beiden diametral gegenläufigen Expertisen in das Frankfurter Verfahren ein, in der Hoffnung, sie mögen sich gegenseitig neutralisieren. Angeblich war von dem gesamten Vorgang weder der BKA- Präsident noch sein zuständiger Abteilungsleiter vorher unterrichtet worden. Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel an der fachlichen Qualifikation der Gegengutachter, die nie zuvor für die Analyse von Schriften aus dem RAF-Bereich eingesetzt wurden. – Unter Zacherts Augen tobt offenbar ein Machtkampf zwischen „Karlsruhe-hörigen“ und „Karlsruhe-kritischen“ BKA-Terrorfahndern. Die Bundesanwaltschaft, so der Eindruck der Karlsruhe-Kritiker, nutze die Wiesbadener Turbulenzen, „um das BKA öffentlich lächerlich zu machen“.

Im Hintergrund der nun aufgebrochenen Meinungsverschiedenheiten im bundesdeutschen Sicherheitsapparat stehen tiefgreifende Differenzen über die zukünftige Linie im Kampf gegen die RAF. Besonders umstritten sind in diesem Zusammenhang neue Verfahren gegen bereits zu Langzeithaftstrafen verurteilte frühere RAF-Mitglieder, die die Bundesanwaltschaft unter dem im vergangenen Sommer amtsenthobenen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl mit Verve vorantrieb. Die taz verfügt über – bislang nicht bestätigte – Hinweise, wonach BKA-Präsident Zachert insbesondere im Fall der Eva Haule ursprünglich im Gleichklang mit seinen Auswertern gegen eine erneute Anklage votiert hatte. Nach einem Spitzengespräch mit von Stahl knickte der BKA-Präsident ein: Seine Beamten verdonnerte er dazu, gegen ihre innere Überzeugung einen Haule belastenden Ermittlungsbericht im Sinne der Karlsruher Vorgaben abzuliefern, der dann Anfang 1993 in einen erweiterten Haftbefehl und eine neue Anklage gegen die frühere RAF-Aktivistin wegen des Air-base-Anschlags mündete. Gerd Rosenkranz