Im Prozeß um den Anschlag auf das Berliner Maison de France 1983 hat der Angeklagte, Ex-Stasi-Oberst Voigt, inzwischen angegeben, auf Befehl von oben Sprengstoff an die Attentäter weitergegeben zu haben. Richtig brisant wird's, wo die Verwicklung diverser Geheimdienste transparent wird. Von Gerd Nowakowski

Ein Prozeß mit doppeltem Boden

Permanenter Personalmangel, unfähige Untergebene und ein organisatorisches Wirrwarr, in dem ausgerechnet die wichtigsten Berichte an ihm vorbeiliefen – es ist ein Bild des bürokratischen Elends, das Helmut Voigt seit mehreren Verhandlungstagen mit monotoner Stimme vom DDR- Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zeichnet. Der 51jährige Ex- Oberstleutnant und Leiter der Abteilung Internationaler Terrorismus gibt sich den Anschein eines grauen Aktenverwalters. Nur manchmal läßt er erkennen, daß er auch politische Überzeugungen besitzt. Etwa wenn er die Weitergabe von Sprengstoff an arabische Befreiungsbewegungen wegen Taten der israelischen Besatzer für gerechtfertigt erklärt. Es ist vor allem eine stete Wachsamkeit und seine perfekte Aktenkenntnis, solange diese nicht für ihn belastend ist, die dennoch ahnen lassen, warum Voigt von den Strafverfolgern als der Terrorismusexperte der DDR eingestuft wird.

Eines der nicht formulierten Ziele des seit über drei Wochen laufenden Prozesses um den Anschlag auf das ehemalige französische Generalkonsulat in Westberlin, das Maison de France, ist bereits erreicht: Der ehemalige Abteilungsleiter hat sein Schweigen gebrochen und angegeben, er habe den mutmaßlich benutzten Sprengstoff auf Befehl seiner Vorgesetzten an die Attentäter weitergegeben. Allein damit hat sich für für die Fahnder, die den untergetauchten Voigt 1992 in Griechenland aufspürten, die aufwendige Hatz gelohnt. Denn nun ist der Weg frei für neue Anklagen gegen die Stasi-Spitze – von Mielke über den gerade aus der Haft entlassenen stellvertretenden Minister Neiber bis hin zum Leiter der Hauptabteilung XXII, Dahl.

Die Anklage hält Helmut Voigt für Beihilfe zum Mord schuldig, er habe einem Mitglied der Gruppe des einst weltweit meistgesuchten Terroristen Iljitsch Ramirez Sanchez („Carlos“) wenige Tage vor dem Anschlag 25 Kilo Sprengstoff wieder ausgehändigt, den die Stasi ein Jahr zuvor beschlagnahmte. Durch mehrere Durchsuchungen der oft in Ostberlin logierenden Gruppenmitglieder habe die Stasi zudem bereits ein halbes Jahr vor der Tat genaueste Kenntnis des Planes einschließlich Skizzen des Maison de France besessen.

Der Anschlag sei eine Panne der Stasi, argumentiert dagegen der immer im schwarzen Anzug auftretende Voigt. Ziel der Stasi sei Anschlagsverhütung gewesen, beteuert er und verweist auf angeblich vereitelte Anschläge auf die jüdische Synagoge und ein US- Kino in Westberlin. Den entscheidenden Auswertungsbericht vom 4.Mai 1983 habe er erst nach dem Anschlag gesehen. Zudem sei er von den Tätern „arglistig getäuscht“ worden. Nur unter der Zusicherung, der Sprengstoff werde an arabische Freischärler weitergegeben und bis zum Abtransport in der syrischen Botschaft gelagert, sei die brisante Ladung freigegeben worden. In der Botschaft in Ostberlin aber blieb der Sprengstoff nicht: Bei der Explosion in Westberlin wurde ein 26jähriger Mann getötet, 22 andere Menschen wurden schwer verletzt.

So selbstsicher die Anklage auch daherkommt, ihre Argumentation hat Schwächen. Bewiesen werden muß Voigt neben dem frühzeitigen Wissen auch, daß das französische Generalkonsulat mit just jenen 25 Kilo Sprengstoff in die Luft gejagt wurde, die die Stasi freigab. Die „Gruppe Carlos“, verwies Voigt auf Stasi-Berichte, habe öfters größere Mengen Sprengstoff in die syrische Botschaft geschafft. Die Identität des Sprengstoffs sei also nicht nachweisbar. Eine Anschlagsgefahr habe er auch deshalb nicht gesehen, enthüllte Voigt, weil die „Gruppe Carlos“, die zuvor mit einer Serie von Attentaten in Paris inhaftierte Mitglieder freipressen wollte, kurz vorher direkt mit dem französischen Innenminister verhandelte.

Genau an diesen Stellen, wo politische Geheimkonsultationen und die Verwicklung diverser Geheimdienste transparent werden, wird das Verfahren brisant. Die syrische Regierung, die der „Gruppe Carlos“ bis heute Unterschlupf gibt, gab der Ostberliner Botschaft Anweisung, der Gruppe „jegliche mögliche Unterstützung“ zu geben. Der in der Botschaft tätige Diplomat Nabil Crita war zudem über Jahre Kontaktmann der Gruppe; mit einem auf ihn zugelassenen Wagen wurde wahrscheinlich auch der Sprengstoff zum Maison de France nach Westberlin geschafft. Crita flüchtete just zum Prozeßbeginn nach Deutschland und soll offenbar als Kronzeuge der Anklage aufgebaut werden. Nach seinen Angaben ist „Carlos“- Stellvertreter Weinrich direkt nach der Tat in die Botschaft gekommen und habe erklärt: „Ich habe es eben vollbracht.“ Anschließend will Crita sofort den Botschafter informiert haben.

Offenbar waren auch die Franzosen über den geplanten Anschlag informiert. Dies geht aus einem Telefonprotokoll der Stasi hervor, die am Tag des Anschlags die französische Botschaft in Ostberlin abhörte. Mysteriös ist, daß kurz vor dem Anschlag zwar das Personal des Konsulats reduziert wurde, aber keinerlei Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden.