Dem Imperialismus schaden, die DDR schützen

■ Für Ermittler ist der Terrorismusexperte Voigt auch deshalb interessant, weil sich die Stasi in den Achtzigern gegenüber aktiven RAF-Kadern sehr großzügig zeigte

Der Panzer vom Typ T34 steht immer noch in einem Waldstück nördlich von Berlin. Der dickwandige Stahlkoloß trägt die Spuren, den die Panzerfäuste vor zwölf Jahren hinterließen. Die Panzerfaustübung war Teil einer sechswöchigen militärischen Ausbildung des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Teilnehmer: die Mitglieder der Rote Armee Fraktion Inge Viett, Christian Klar, Adelheid Schulz und Helmut Pohl. Die vier wurden auch in der Benutzung von Sprengstoff geschult. Zu Tode kam dabei ein Schäferhund; er war in einem Mercedes angeleint, den die RAF-Angehörigen in die Luft jagten – die Reste zerstörten sie mit einer Panzerfaust. Fast immer dabei: Helmut Voigt, Leiter der Abteilung Internationaler Terrorismus in der Stasi-Hauptabteilung XXII.

Das damalige Übungsschießen ist einer der Gründe für das große Interesse der Fahnder an Voigt. Für sie ist der einstige Stasi- Oberstleutnant zugleich die Schlüsselfigur im Bereich der Hauptabteilung XXII, der über 500 Mitarbeiter angehörten. Seine Abteilung beschäftigte sich sowohl mit der Verhinderung der Aktivitäten von Neonazis und von Fluchthelfern als auch mit sogenannten „Terrorakten“ ehemaliger DDR-Bürger. Der nach der Wende mit der Aktenvernichtung der Abteilung betraute Voigt war die Spinne im Netz geheimdienstlicher Kenntnisse der DDR über militante Gruppierungen und Befreiungsbewegungen und zudem die zentrale Figur bei den Gesprächen mit der RAF. Er fädelte im Frühjahr 1980 „in gelockerter Atmosphäre“ (Voigt) in einem MfS-Heim die Übersiedlung der RAF-Aussteiger in die DDR ein.

Die Stasi zeigte sich gegenüber den aktiven RAF-Kadern großzügig. So wurden einige RAFler im September 1980 in der DDR zwischengeparkt, bis ihre gefahrlose Einreise in die Bundesrepublik gesichert war. Voigt ließ auch durch den Stasi-Apparat überprüfen, ob die gefälschten Pässe der RAF- Leute nicht im westdeutschen Fahndungsbuch standen. Das Interesse der DDR behielt Voigt freilich immer im Auge: Als die RAF direkt um die Lieferung von Waffen und Sprengstoff bat, lehnte der Oberstleutnant ab. Die DDR fürchtete eine irreparable internationale Rufschädigung, falls solche Hilfe bekannt geworden wäre.

Außenpolitischen Schaden vermeiden war die Richtschnur, der Voigt bei seinen Kontakten folgte – entsprechend der vom stellvertretenden Stasi-Chef Neiber vorgezeichneten Linie, die DDR müsse sich so verhalten, daß militante Gruppen nicht auf den Gedanken kämen, „mit ihren äußerst brutalen Handlungsweisen auch gegen uns, gegen den Sozialismus vorzugehen“. Zusätzlich sah das MfS insbesondere bei den Kontakten mit der „Gruppe Carlos“ die einmalige Chance, mit „geringem Aufwand und geringem Risiko“ exklusive Informationen abzuschöpfen. Denn die Gruppierung verstand sich nach Voigts Worten als „Koordinator“ für alle Gruppierungen, die gegen Imperialismus und Zionismus kämpften.

Der Ende der siebziger Jahre weltweit meistgesuchte Terrorist Iljitsch Ramirez-Sanchez (Carlos) war 1979 in Ostberlin aufgetaucht. Carlos sei „aufgeschlossen“, „bescheiden“ und verfüge über „eine solide marxistische Bildung“, notierte das MfS anfänglich über den Chef der Gruppe, die für zahlreiche Attentate mit zwei Dutzend Toten und Hunderten von Verletzten verantwortlich ist und bis heute unter dem Schutz Syriens steht. Unter den Augen der Stasi arrangierte vor allem der „Carlos“-Vize, der Deutsche Johannes Weinrich, Treffen mit anderen militanten Gruppen wie Abu Nidal, Mitgliedern der westdeutschen „Revolutionären Zellen“, der PLO oder der armenischen Befreiungsarmee Asala. Mehrfach brachten „Carlos“-Leute große Mengen an Waffen bis hin zu Panzerfäusten in die DDR. Im Oktober 1980 wurde z.B. eine komplette Waffenladung in Absprache mit dem MfS an die baskische ETA übergeben – die Stasi sorgte dafür, daß das benutzte Wohnmobil an der DDR- Grenze nicht überprüft wurde.

Zeitweilig scheint die Stasi nicht mehr Herr der Lage gewesen zu sein. Das MfS war beunruhigt über den konspirativen Leichtsinn der Gruppenmitglieder. Die Versuche Voigts, die Gruppe zu bremsen, die in der DDR ein regelrechtes logistisches Zentrum aufbaute, führten zu Auseinandersetzungen. Wegen eines möglichen außenpolitischen Schadens verbot Voigt mehrfach, Anschläge von DDR- Gebiet aus zu begehen. Weinrich glaubte gar Versuche des MfS zu erkennen, „uns an den Feind zu verraten“. Was die Sorge der Stasi vor „Trotzreaktionen“ – Anschläge in der DDR – verstärkte.

Dennoch erteilte die DDR den Gruppenmitgliedern erst nach dem Anschlag auf das Maison de France ein zeitweiliges Einreiseverbot. Zuvor beschränkte sich die Stasi offenbar darauf, möglichst genau über Aktivitäten informiert zu sein. Weinrichs Gepäck wurde regelmäßig durchsucht. Dabei fand die Stasi im Frühjahr 1983 offenbar auch Hinweise auf geplante Anschläge in Frankreich und Skizzen der US-Botschaft in Beirut. Die Botschaft wurde wenig später mit einer Autobombe völlig zerstört; dabei wurden über 50 Menschen getötet – ein Attentat, das bis heute der Gruppe Abu Nidal zugeschrieben wird.

Nur beim Anschlag auf das Maison de France reichte es bislang für eine Anklage. Zwar möchte die Bundesanwaltschaft auch die Schießübungen mit der RAF verfolgen, doch das Material ist dürftig. Entscheidend ist das Datum: Hat das Probeschießen vor oder nach dem Panzerfaust-Attentat auf US-General Kroesen im September 1981 stattgefunden? War es hinterher, wie Stasi-Berichte belegen, dann war es bloße Unterstützung der RAF – diese aber ist verjährt. Wurde aber vorher geübt, wie die Bundesanwaltschaft und die RAF-Aussteigerin Inge Viett behaupten, kann wegen Beihilfe zum Mordversuch an Kroesen angeklagt werden – gegen Voigt und seine Vorgesetzten.